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Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Ein neues Leben auf dem Jakobsweg

Titel: Ein neues Leben auf dem Jakobsweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manolo Link
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zurückhalten. Nach der Messe saßen wir noch lange in der Bank, bis uns jemand freundlich darauf hinwies, dass die Kirche geschlossen würde.
    Auf dem Weg zur Bar wandte ich mich zu Michael: »Ich finde es wundervoll, dass du dich dafür eingesetzt hast, eine Messe für Werner lesen zu lassen. Und dein Vorhaben, Werners Pilgerausweis nach Santiago zu tragen, ist eine schöne Geste ihm und seiner Familie gegenüber.« Michael sah mich an und legte seine Hand auf meine Schulter. Schweigend gingen wir mit Tanja zur Bar, bestellten das Pilgermenü, Wein und Bier. Nach einigen Gläsern lockerte sich unsere Anspannung ein wenig. Es tat allen gut, über die Geschehnisse reden zu können. Als Papa Brasil in der Bar erschien und jeden in die Arme nahm, fand wieder Hoffnung Einzug in unsere Herzen. Papa Brasil schien mit seinen Augen die Menschen zu streicheln.
    Maggie aus Kalifornien, eine Freundin von Michael und Tanja, gesellte sich im Laufe des Abends zu uns. Wir tranken reichlich Wein und Bier. Gegen halb elf erschien der Hospitalero und teilte Maggie mit, dass die Herberge seit einer halben Stunde geschlossen sei. Sofort fiel mir die Notliege ein, die in jenem Moment ihre Bedeutung bezeugte. Tanja fragte den Barbesitzer, ob Maggie in unserem Zimmer übernachten könne. Er war einverstanden. So löste sich das Problem schnell auf. Maggie hatte die Zeit vergessen. Was nicht selten auf dem Camino vorkam. Die Uhren gingen anders in einer Welt, die eine andere war. Der Jakobsweg beinhaltete seine eigene, spezielle Welt.
    Papa Brasil hatte sich kurz vor zehn von uns verabschiedet. Natürlich nicht, ohne vorher noch einen Gag gemacht zu haben. Denn Papa Brasil hinterließ keine Menschen, die nach seinem Weggehen nicht lachten. Ab diesem Tage nannten wir ihn »Santa Papa Brasil«. Michael war der Meinung, dass uns der Barbesitzer wie ein Vater behandelte. Als wir ihn nach der Rechnung fragten, gab er uns zu verstehen, dass dies Zeit bis zum nächsten Morgen hätte. Zu viert gingen wir aufs Zimmer, bauten Maggies Liege auf und schliefen bald ein.
    Das Frühstück war ausgezeichnet und die Begleichung unserer Rechnungen außergewöhnlich. Als Erster kam ich an die Reihe. Der Barbesitzer fragte mich, was ich am Vorabend gegessen und getrunken hatte. Ich versuchte alles genauestens aufzuführen. Er schrieb auf seinen Zettel .... sieben Euro für die Übernachtung, das Menü, eine Flasche Wein, das Frühstück, eine Tasse Kaffee extra. Das ein oder andere ließ er, begleitet von einer vielsagenden Handbewegung, einfach weg. Bei Tanjas und Michaels Rechnung handhabte er es ebenso. Irgendwelche Einsprüche ließ er nicht gelten. Für jeden stellte er noch eine Flasche Wasser auf die Theke.
    Beim Abschied versprach ich, ihn in Santiago in meine Gebete mit einzuschließen. Dankbar verließen wir einen gutherzigen Menschen.
    Als ich mit Michael und Tanja startete, fühlte ich die Trauer, die an ihnen nagte. Michael verschwand als Erster. Kurze Zeit später hatte ich auch Tanja aus den Augen verloren. Sie wollten alleine sein. Michael hatte nach Werners Tod den Gedanken gefasst, seine Pilgerschaft zu beenden, weil er sich unendlich müde und erschöpft fühlte. Er sagte mir, dass er das Gefühl hätte, Werner auf seinen Schultern mit sich zu tragen. Ich freute mich für ihn, dass er sich anders entschieden hatte.
    Meine Gedanken waren beim gestrigen Abend. Bei der bewegenden Messe für Werner. Ich sprach ein Gebet für ihn. Ich sah uns am Tisch in der Bar sitzen. Den Barbesitzer, der uns wie ein Vater umsorgt hatte und großzügig bei der Rechnung war. Ich musste an Tanja und Michael denken, die in den nächsten Tagen und Wochen viel zu verarbeiten hatten. Mir wurde bewusst, dass ich zwar durch eine wunderschöne Landschaft wanderte, sie jedoch nicht wirklich wahrnahm. Meine Gedanken waren weit weg. In jenem Moment hatte ich das Gefühl, dass alles, was sich in meinem Leben abspielte, genau so sein sollte. Als wenn es vorbestimmt wäre. Mir kam ein Satz in den Sinn: »Wenn der Mensch Vertrauen zu sich, seinem Weg und Gott entwickelt hat, dann besitzt er die Fähigkeit, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.« Und genau dieses Gefühl hatte ich - mich am richtigen Ort zu befinden. Auch während meiner dreißigtägigen Pilgerschaft hatte ich öfters das Gefühl, zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Orten und mit genau den Menschen zusammengekommen zu sein, mit denen ich Zusammenkommen musste.
    Von nun an war alle 500 Meter an

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