Ein Noah von heute
gelegt, die das Weibchen dann mehr oder weniger vergißt. In dem Beutel vollzieht sich die Umwandlung in Kaulquappen; die Kaulquappen entwickeln Beine, und ihr Schwanz verschwindet, und wenn sie fürs Leben bereit sind, schlitzt die Mutter die Haut an ihrem Rücken auf, worauf die Jungen herauskrabbeln, jedes nicht viel größer als das Knöpfchen am Ende einer Stricknadel.
Das kleinste, aber mächtigste Amphibium, das wir in Guayana fingen, war der Baumsteigerfrosch, den man dort Giftpfeilfrosch nennt. Das ist ein kleiner Laubfrosch, etwa vier Zentimeter lang, von wunderbarster Färbung und Musterung. Es gibt mehrere Arten; sie können auf hellem Grund rote und goldene Streifen haben, auf schwarzem Grund rosa und blaue oder irgendeine andere Farbzusammenstellung. Es sind reizende Tierchen, und ein Glas, das mit ihnen gefüllt ist, scheint eher bunte Bonbons zu enthalten als Lebewesen. Den Indianern sind diese kleinen Frösche sehr nützlich. Sie fangen eine Anzahl und setzen sie nahe an ein Feuer. Sobald es den Fröschen heiß wird, sondert ihr Körper einen Schleim ab, den die Indianer abkratzen und sammeln. Wird dieser Schleim auf eine bestimmte Weise behandelt, so ergibt er ein sehr wirksames Gift, in das die Indianer ihre Pfeilspitzen tauchen. Wird ein Tier von dem Pfeil getroffen — selbst ein kräftiges Tier wie ein Wildschwein — , so wirkt das Gift sehr schnell und führt den Tod herbei. Für die Indianer ist also jeder dieser kleinen Laubfrösche sozusagen eine Giftfabrik, und wenn sie für ihre Pfeile neues Material brauchen, gehen sie in den Wald und sammeln eine Anzahl Baumsteigerfrösche, die ihnen neuen Vorrat liefern.
Elftes Kapitel
Cuthbert der Hocko
Zu den entzückendsten, aber aufreizendsten Tieren, die ich in Guayana fand, gehörte Cuthbert der Hocko. Ich kaufte ihn, als ich mich im Land der Bäche aufhielt, und fast von Anfang an war er eine Plage. Hockos gehören zur Familie der Hühnervögel; sie sind so groß wie ein Truthahn, haben ein glänzend blauschwarzes Gefieder, gelbe Füße und einen dicken gelben Schnabel. Am Kopf haben sie einen kurzen Schopf, und ihre großen, dunklen Augen zeigen einen Irrsinnsausdruck.
Cuthbert wurde mir von seinem Besitzer gebracht, einem dicken und scheuen kleinen Chinesen. Nachdem ich den Vogel gekauft hatte, bückte sich der Chinese und setzte ihn vor midi auf den Boden. Eine Weile blieb er blinzelnd stehen und stieß ein leises, klägliches «Piep-piep-piep» aus, das bei dem großen und feurig aussehenden Vogel verblüffend klang. Ich neigte mich zu ihm und begann seinen Schopf zu kraulen, worauf Cuthbert die Augen schloß und platt zu Boden fiel, vor Freude sein Gefieder schüttelte und ein kehliges Gurren von sich gab.
Der Chinese versicherte mir, der Vogel sei so zahm, daß ich ihn nicht in einen Käfig zu sperren brauchte, er werde nicht weglaufen. Da Cuthbert eine Liebe zu mir gefaßt zu haben schien, dünkte mich das durchaus zutreffend. Als ich aufhörte, seinen Kopf zu kraulen, erhob er sich und ging dicht neben meinen Beinen, immer noch lächerlich piepsend. Sehr langsam kam er zu mir heran, legte sich quer über meine Schuhe, schloß die Augen und begann wieder zu gurren. Er war so sanft und rührselig, daß ich ihn sogleich nach dem englischen Mönch und Bischof Cuthbert taufte, da ich diesen Namen für ihn sehr passend fand.
Am Abend nach Cuthberts Ankunft saß ich in unserer Hütte an einem Tischchen, um mein Tagebuch zu führen, und diesen Augenblick hielt Cuthbert, der nachdenklich umherstolziert war, für die geeignete Zeit, mir etwas Liebe zu bezeigen. Er flog also mit viel Flügelschlagen auf den Tisch, lief vergnügt piepsend darüber und versuchte sich auf den Papierbogen zu legen, den ich gerade bekritzelte. Ich schob ihn ärgerlich weg, und als er mit dem Ausdruck empörter Verwunderung ob solcher Behandlung rückwärts trat, warf er mit dem einen großen hühnerähnlichen Fuß das Tintenfaß um, dessen Inhalt sich — überflüssig zu sagen — über meine Notizen ergoß, so daß ich zwei Seiten ganz neu schreiben mußte.
Während ich mich dieser Aufgabe unterzog, machte Cuthbert mehrmals den Versuch, auf meinen Schoß zu klettern; aber ich wehrte ihn streng ab, so daß er sich schließlich verzog und eine Weile in tiefen Gedanken stand. Er entschied, daß es zwecklos wäre, sich mir auf diese gemächliche Weise zu nähern, und daß er es mit einer Überrumpelung versuchen mußte.
Er wartete, bis ich nicht hinschaute; dann
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