Ein Noah von heute
pflückte ich eine rote Hibiskusblüte und ließ sie auf dem Honigwasser schwimmen.
Der Kolibri, ungefähr von der Größe einer Hummel, saß auf seiner kleinen Stange, putzte sich das Gefieder und ließ ein leises Gezwitscher hören, das recht zufrieden klang. Auf einmal hob er von der Stange ab und schwirrte rings im Käfig herum wie ein Hubschrauber; die Flügel bewegte er so schnell, daß man über seinem Rücken gerade nur ein verschwommenes Fleckchen sah. Beim Kreiselflug gewahrte er schließlich die Hibiskusblüte, die da in dem Schüsselchen lag, worauf er hinabschwirrte und den Schnabel auf die Blüte zustieß. Wenn die Blume ausgesaugt war, stieß er weiter mit dem Schnabel zu, steckte ihn bald zwischen die Blütenblätter und geriet in das Honigwasser. Schnell begann er zu trinken, wobei er fortwährend in der Luft schwebte. Binnen vierundzwanzig Stunden erfaßte er auf diese Weise, daß die kleinen Glastöpfchen, die an den Käfigwänden hingen, einen reichlichen Vorrat süßen Honigs enthielten, und von da an brauchte ich mir nicht mehr die Mühe zu machen, einen Wegweiser in Form einer Blume anzubringen. Die Vögelchen lebten sich sehr munter ein, und zwei Tage später waren sie so zahm, daß sie gar nicht erst warteten, bis ich das Töpfchen aufgehängt hatte, sondern sie flogen herbei, sowie ich die Hand in den Käfig steckte, und tranken schon, während ich das Töpfchen hineinhängte; manchmal setzten sie sich sogar auf meinen Finger, um auszuruhen und sich das schimmernde Gefieder zu putzen.
In unserem Basislager in Georgetown ereignete sich fast immer etwas Aufregendes. Man konnte nie wissen, zu welcher Stunde des Tages oder der Nacht irgend jemand mit neuen Exemplaren ankommen würde. Vielleicht war es ein Mann, der einen Affen auf der Schulter trug, oder ein kleiner Junge mit einem Weidenkorb voller Vögel, oder es tauchte einer der Berufsjäger nach einwöchiger Reise ins Innere des Landes auf, meistens mit einem Pferd, das einen Karren zog, auf dem sich Käfige mit lauter verschiedenen Tieren stapelten.
Ich weiß noch gut, wie eines Tages ein sehr alter Indianer den Garten betrat und mir höflich einen Bastkorb reichte. Ich fragte ihn, was darin sei, und er antwortete, der Korb enthalte Ratten. Je nun, es ist ganz ungefährlich, den Deckel von einem Korb voller Ratten zu nehmen, da sich die Tiere in der Regel auf dem Boden zusammendrängen und sich nicht zu rühren wagen. Ich nahm also den Deckel vom Korb und erkannte, daß er nicht Ratten enthielt, sondern Seidenäffchen, die sehr geschwind und beweglich heraussprangen und nach allen Himmelsrichtungen davonstoben. Nach einer hektischen Jagd, die ungefähr eine halbe Stunde dauerte, glückte es uns, sie zusammenzutreiben und in einen Käfig zu verfrachten. Aber das lehrte mich, vorsichtiger zu sein, wenn mir ein Korb mit Tieren gebracht wurde.
Diese Seidenäffchen waren ungefähr so groß wie eine Ratte, hatten einen langen, buschigen Schwanz und ein kluges dunkles Gesichtchen. Ihr Fell war tiefschwarz, so daß die orangeroten Hände auffallend abstachen. Wir hielten sie in einem großen Käfig, wo sie viel Platz zum Springen hatten, und gaben ihnen eine Kiste mit einem Loch, die ihnen als Schlafraum dienen sollte. Jeden Abend kamen sie alle herunter und saßen keckernd und quiekend bei der Tür, auf ihr Futter wartend. Jedes Äffchen trank einen Topf voll Milch und verzehrte dann fünf Heuschrecken. Nach dem letzten Bissen marschierten sie in Reih und Glied ab — das älteste führte— , kletterten feierlich in ihre Kiste und rollten sich alle auf dem Boden zu einer festen Kugel zusammen. Wie sie auf diese Weise schlafen konnten, ohne zu ersticken, war mir schleierhaft. Seidenäffchen leben so gesellig, daß sie offenbar auch in der Gefangenschaft nicht darauf verzichten wollen, rudelweise zu schlafen.
Eines Tages erschien im Garten ein großer Neger, neben dem ein sehr außergewöhnlich aussehendes Tier an einem langen Strick trottete. Es sah einem riesigen, weißgefleckten Meerschweinchen ähnlich. Es hatte große dunkle Augen und ein Gewirr von weißen Spürhaaren. Es war ein Paka, ein naher Verwandter des Meerschweinchens und auch des Wasserschweins.
Nachdem wir uns über den Preis, den ich für dieses Tier bezahlen sollte, einig geworden waren, erkundigte ich mich bei dem Neger, ob es zahm sei, worauf er es in die Arme nahm, es streichelte und mit ihm sprach; er beteuerte mir, er habe es schon als kleines Junges gehabt, ein
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