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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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geglaubt hatte, mit dem Verlust ihrer Tochter fertig werden zu können – in dem Augenblick, wenn er ihr sagen würde, daß sie Alisons Verschwinden nun offiziell als Mordfall behandelten, würde ein stechender Schmerz ihr Herz durchbohren.
    Er zündete sich eine neue Zigarette an und ging vor der Dunkelkammer im Kreis umher. Wo blieb Clough so lange? Mitten in der Durchsuchung konnte er das Nebengebäude nicht verlassen, weil er das spätere Argument der Verteidigung befürchten mußte, jemand hätte unbewacht belastendes Beweismaterial hineinschmuggeln können. Er wollte die Suche auch nicht weiter fortsetzen, da ihm klar war, daß bei einer ausschließlich auf Indizien fußenden Beweiskette jede wichtige Entdeckung von einem Zeugen belegt werden mußte. George zwang sich zu tiefem Durchatmen und ließ die Schultern unter dem Mantel langsam rotieren, um einen Teil der Spannung abzubauen, die ihm das Gefühl gab, seine Nackenmuskeln seien gestraffte Bänder.
    Als das letzte Licht hinter dem westlichen Rand des Tals verschwand, tauchte Clough breit grinsend wieder auf. »Tut mir leid, daß ich so lange gebraucht habe«, sagte er. »Ich mußte alle Schubladen durchsuchen. Nichts. Dann sah ich, daß eine davon nicht fest zuging. Also zog ich sie heraus und – voilà! Da war der Schlüssel für den Safe, hinten an der Schublade mit Heftpflaster befestigt.« Er ließ den Schlüssel vor George herumbaumeln. »Übrigens dieselbe Art von Heftpflaster, mit dem die Schnauze des Hundes zugeklebt war.«
    »Gute Arbeit, Tommy.« Er nahm den Schlüssel, ging wieder in die Dunkelkammer, kauerte sich vor den Safe und sah über die Schulter zu seinem Sergeant zurück. »Ich habe fast Angst, ihn aufzumachen.«
    »Weil der Beweis drin sein könnte, daß sie tot ist?«
    George schüttelte den Kopf. »Weil vielleicht gar kein Beweis für irgendwas drin ist. Ich bin jetzt überzeugt, Tommy. Zu viele kleine Zufälle. Hawkin ist wegen Alison dran, und ich will ihn dafür hängen sehen.« Er ging an die Arbeit und steckte den Schlüssel ins Schloß. Er ließ sich glatt und lautlos umdrehen. Ein paar Sekunden schloß er die Augen. Fünf Minuten zuvor hätte er sich noch als Ungläubigen bezeichnet, jetzt war er ein Eiferer.
    Langsam drehte er den Griff und zog die schwere Stahltür hoch. Es war nichts außer einem Stoß brauner Umschläge darin. George nahm sie fast ehrfürchtig heraus. Er zählte sie Clough laut vor, der sein Notizbuch schon geöffnet und den Bleistift bereithielt. »Sechs braune Umschläge«, sagte er, stand auf und legte sie auf den Tisch. George setzte sich. Er hatte das Gefühl, er werde eine Stütze brauchen können. Er zog seine weichen Autohandschuhe an und begann mit der Arbeit.
    Die dreieckigen Klappen der Umschläge waren alle nach innen gesteckt. George fuhr mit dem Daumen hinein und machte den ersten auf. Er enthielt Fotos im Format zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter. George nahm sie heraus, indem er die Seiten des Umschlags nach innen bog und die Fotos auf den Tisch rutschen ließ, um das Verwischen eventueller Fingerabdrücke zu vermeiden. Es war ein halbes Dutzend Fotos, die er mit Hilfe seines Kulis ausbreitete.
    Alison Carter war auf allen Bildern nackt. Ihr Gesicht hatte seine natürliche Anmut verloren, wirkte häßlich und von Angst verzerrt. In ihrer Haltung drückte sich der absolute Widerwille aus, Stellungen einzunehmen, die auch bei einer Erwachsenen unanständig gewesen wären, bei einem Kind aber von qualvoller und zugleich abstoßender Tragik waren. Außer natürlich bei einem Betrachter, der pädophil war wie der Fotograf.
    Clough sah ihm über die Schulter. »Mein Gott«, sagte er mit vor Abscheu erstickter Stimme.
    George konnte gar nichts sagen. Er sammelte die Fotos wieder ein, steckte sie in den Umschlag zurück und legte ihn vorsichtig zur Seite. Der zweite Umschlag enthielt Streifen großformatiger Negative. Mit Hilfe eines Leuchttischs, der Teil der Ausstattung war, stellten sie fest, daß es die Negative von diesen Abzügen waren. Es waren sechzehn. Zehn davon hatte Hawkin gar nicht entwickelt, nämlich die, auf denen Alison zu weinen schien.
    Der dritte Umschlag war noch schlimmer, die Posen noch eindeutiger. Diesmal schien das Gesicht des Mädchens erschlafft, die Augen schauten abwesend. »Sie ist entweder betrunken oder steht unter Drogen«, sagte Clough. George konnte immer noch nichts sagen. Systematisch tat er jedes Foto wieder in den Umschlag zurück und kontrollierte,

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