Ein Ort für die Ewigkeit
Sandra. »Anne hat ihn natürlich im Krankenwagen begleitet. Paul und Helen sind in ihrem Wagen hinterhergefahren.«
Entsetzt räusperte sich Catherine. »Hat man schon etwas gehört?«
»Paul ist zurückgekommen, um ein paar Sachen für seinen Vater zu holen, und wir haben kurz gesprochen. George liegt auf der Intensivstation. Paul sagte, es stand auf der Kippe, aber die Ärzte meinen, George hat Kampfgeist. Das wissen wir natürlich alle.«
»Welche Klinik?« fragte Catherine.
»Sie haben ihn in die Spezialabteilung für Herzleiden in Derby gebracht«, sagte sie.
Catherine lief schon den Hang hinauf zu ihrem Auto zurück.
»Sie werden Sie nicht reinlassen«, rief Sandra ihr nach. »Sie gehören nicht zur Familie. Sie werden Sie nicht reinlassen.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Catherine halblaut und aufgebracht. Wie vorauszusehen, kamen ihre Ängste um George in unvernünftiger Wut zum Ausdruck. Wie konnte George es wagen, sie der Genugtuung zu berauben, verdammt noch mal, herauszufinden, was los war, indem er es so einrichtete, daß er fast im Sterben lag?
Erst als sie nach Derby hinunterfuhr, beruhigte sie sich so weit, daß ihr langsam klar wurde, was für eine entsetzliche Nacht es für alle gewesen sein mußte – für Anne, Paul, Helen und natürlich für George selbst, in einem Körper gefangen, der nicht mehr so funktionierte, wie er sollte. Sie konnte sich für einen Mann wie George kaum etwas Schlimmeres vorstellen. Sie wußte, selbst mit fünfundsechzig Jahren war er fit und hatte eine gute Kondition; sein Verstand war wacher als der der meisten Polizeibeamten im Dienst, die sie je getroffen hatte. Er konnte immer noch das Kreuzworträtsel des
Guardian
an drei Tagen von vieren lösen, was mehr war, als Catherine je fertiggebracht hatte. Die enge Zusammenarbeit mit ihm hatte ihr einerseits Respekt eingeflößt, andererseits aber auch herzliche Zuneigung entstehen lassen. Der Gedanke, daß ihn nun eine Krankheit einschränken sollte, war ihr zuwider.
Die Intensivstation war nicht schwer zu finden. Catherine drückte eine der Doppeltüren auf und stand in der leeren Anmeldung. Sie drückte auf einen Knopf am Tisch und wartete. Nach ein paar Minuten drückte sie noch einmal. Eine Schwester in weißer Dienstkleidung kam aus einer der drei geschlossenen Türen. »Kann ich Ihnen helfen?« fragte sie.
»Ich möchte wissen, wie es George Bennett geht«, sagte Catherine mit einem ängstlichen, schwachen Lächeln.
»Gehören Sie zur Familie?« erkundigte sich die Schwester automatisch.
»Ich habe mit George zusammengearbeitet. Ich bin mit der Familie befreundet.«
»Leider können wir nur Familienbesuch zulassen«, sagte sie, aber ihre Stimme drückte keinerlei Bedauern aus.
»Das kann ich verstehen.« Catherine lächelte wieder. »Aber vielleicht könnten Sie Anne – das heißt, Mrs. Bennett – sagen, daß ich hier bin? Vielleicht könnten wir zusammen irgendwo eine Tasse Tee trinken, wenn sie möchte.«
Die Schwester lächelte zum ersten Mal. »Natürlich werde ich ihr das sagen. Ihr Name ist?«
»Catherine Heathcote. Wo könnte ich Mrs. Bennett treffen?«
Die Schwester deutete auf das Café, und als sie sich abwandte, rief sie hinter ihr her. »Und George? Können Sie mir etwas über George sagen?«
Jetzt war die Stimme der Schwester sanfter. »Sein Zustand ist kritisch, aber stabil. Die nächsten vierundzwanzig Stunden sind entscheidend.«
Catherine ging benommen zu den Aufzügen zurück. Das Krankenhaus machte ihr Georges persönliche Katastrophe auf eine Art und Weise klar, wie Sandras Worte es nicht getan hatten. Irgendwo hinter diesen geschlossenen Türen war George an Maschinen und Monitore angeschlossen. Einmal abgesehen davon, was mit seinem Körper los war, was passierte mit seinem Geist? Würde er sich erinnern, daß er ihr den Brief geschickt hatte? Hatte er Anne davon erzählt? Sollte sie so tun, als wäre nichts Bedauerliches geschehen? Nicht nur in ihrem eigenen Interesse, rechtfertigte sie sich, sondern auch um seiner Familie jene zusätzliche Sorge zu ersparen?
Catherine fand das Café, setzte sich an einen Ecktisch und trank ein Mineralwasser. Sie war so mit ihren Gedanken beschäftigt, daß sie Paul nicht sah, bis er praktisch vor ihr stand. Seine Ähnlichkeit mit George war heute unheimlich. Sie hatte so oft das Foto seines Vaters, auf dem er fast im gleichen Alter war, angesehen, daß es war, als sei das Bild an ihrer Wand plötzlich zum Leben erwacht und habe
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