Ein Ort für die Ewigkeit
verhedderten sich fast, so hastig sprach sie.
»Nur das Erdgeschoß. Ich werde Sie nicht stören.«
»Ich bin gerade mitten in einer Arbeit«, erwiderte Janis bestimmt.
Die Tür begann sich zu schließen. Instinktiv trat Catherine näher an die Frau heran, damit sie die Tür nicht ganz zumachen konnte. Dann sah sie, was George Bennett am Tag vorher gesehen hatte. Sie taumelte rückwärts; ein geordneter Rückzug war nicht mehr möglich.
»Sprechen Sie mit Kathy«, sagte Janis Wainwright. Wie aus der Ferne hörte Catherine das Schloß klicken, dann das Scharren von Riegeln, die vorgelegt wurden. Benommen drehte sie sich um und ging zu ihrem Wagen zurück; sie stolperte, ohne etwas zu sehen, wie eine Schlafwandlerin.
Jetzt glaubte sie zu verstehen, warum George den Brief geschrieben hatte. Aber wenn sie recht hatte, dann war das nicht etwas, das sie seinem Sohn so einfach erklären konnte. Und es war nicht etwas, das sie veranlassen würde, die Veröffentlichung des Buchs zu stoppen. Es ließ sie begreifen, daß es hinter dem Alison-Carter-Fall vielleicht eine tiefere Wahrheit gab, die weder sie noch George auch nur geahnt hatten. Und es bestärkte sie in dem Entschluß, die Wahrheit zu schreiben, auf die sie mit Paul an jenem Abend in London so fröhlich angestoßen hatte.
Catherine saß stocksteif im Wagen, die glühende Hitze bemerkte sie nicht. Jetzt, wo der erste Schock vorbei war, konnte sie kaum glauben, was sie gesehen hatte. Es war unsinnig, sagte sie sich. Ihre Augen mußten sie getäuscht haben. Aber wenn das stimmte, dann hatten George Bennetts Augen ihn auch getäuscht. Die Ähnlichkeit war bemerkenswert, sogar unheimlich. Wenn das alles gewesen wäre, hätte sie es einfach als absonderlichen Zufall abtun können, aber Catherine wußte, daß es keine Ähnlichkeit auf der Welt gab, in der auch Narben mit inbegriffen sind.
Sie hatte beim Lesen der Unterlagen und aus ihren Interviews erfahren, daß das eine hervorstechende Merkmal Alison Carters eine Narbe war. Eine weiße, etwa zweieinhalb Zentimeter lange Linie, die sich diagonal durch ihre rechte Augenbraue zog. Sie berührte den Rand der Augenhöhle und lief nach oben zur Stirn. Es war in dem Sommer passiert, als ihr Vater starb. Alison war in der Pause mit einer Milchflasche über den Schulhof gerannt, gestolpert und hingefallen. Die Flasche war zerbrochen, und ein Stück Glas war ihr in die Haut gedrungen. Die Narbe konnte man, so hatte ihre Mutter gesagt, am besten im Sommer sehen, wenn die Haut sonnengebräunt war. Genau wie bei Janis Wainwright.
Plötzlich und ohne Grund hatte Catherine entsetzliche Kopfschmerzen. Sie wendete und fuhr langsam und vorsichtig nach Longnor. Es schien nur eine Erklärung zu geben für das, was sie gesehen hatte, und die war unmöglich. Alison Carter war tot. Philip Hawkin war gehängt worden, weil er sie ermordet hatte. Aber wenn Alison Carter tot war, wer war dann Janis Wainwright? Wie konnte eine Frau, die Alisons Klon hätte sein können, in Scardale Manor leben und keine Verbindung zu dem haben, was 1963 geschehen war? Aber wenn sie es war, wie war es dann möglich, daß ihre eigene Schwester nichts davon wußte?
Catherine parkte und ging zu Fuß zum Zeitungshändler zurück. Sie kaufte eine Packung mit zwanzig Marlboro Light und eine Schachtel Streichhölzer. Wieder in ihrem Häuschen, goß sie sich ein Glas Wein ein, der so kalt war, daß ihre Zähne davon weh taten. Dann zündete sie sich seit zwölf Jahren die erste Zigarette an, von der ihr schwindelig wurde. Das Nikotin schoß ihr ins Blut und fühlte sich an wie die normalste Sache der Welt.
Sie rauchte die Zigarette hingebungsvoll und konzentriert, dann setzte sie sich mit Papier und Bleistift hin und machte sich Notizen. Nach einer Stunde hatte Catherine zwei Thesen:
These 1.
Wenn Alison Carter nicht gestorben wäre, würde sie genau wie Janis Wainwright aussehen.
These 2.
Alison Carter ist Janis Wainwright.
Sie hatte auch einen Aktionsplan. Wenn sie recht hatte, würde es mehr als ein paar Korrekturen erfordern, um ihr Buch zu Ende zu bringen. Aber das störte sie nicht. Wenn Alison Carter noch lebte, würde ihr Buch »Ein Ort für die Ewigkeit« noch aufregender werden, als es schon war. Und irgendwie würde sie George überzeugen, ihre Sicht zu verstehen, wenn es ihm erst einmal wieder gut genug ging, um all die Auswirkungen ausführlich zu bedenken.
Der erste Schritt war ein Anruf bei ihrer Assistentin in London. »Beverly, hier ist
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