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Ein Ort für die Ewigkeit

Ein Ort für die Ewigkeit

Titel: Ein Ort für die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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1963, 16 Uhr 05
    G eorge glaubte allmählich, er werde sein ganzes Leben lang von der Straße nach Scardale träumen. Der Wagen rollte in der aufkommenden Dämmerung des düsteren Winternachmittags durch den schmalen Hohlweg. Wenn die Sonne es heute geschafft haben sollte, sich zwischen Nebel und Wolken zu zeigen, so hatte er sie jedenfalls verpaßt, dachte er und bremste, als sie die Dorfwiese erreichten. Männer standen um den Wohnwagen der Polizei herum, der Dampf aus ihren Teetassen stieg auf und vermischte sich mit den Nebelschwaden, die in das Tal heruntersanken. Die erfolglose Suche ging mit dem schwindenden Tageslicht zu Ende.
    George beachtete die Leute nicht und ging zum Tor Cottage hinüber. Es war Zeit, daß Ma Lomas aufhörte, sich wie eine Figur in einem viktorianischen Melodram zu benehmen, und sich klarmachte, was Alison passieren konnte, wenn die Matriarchin und ihre Großfamilie weiterhin schwiegen, sagte er sich entschlossen. Als er um den Holzstoß herumging, der den Weg zu ihrer Haustür fast versperrte, blieb sein Fuß an etwas hängen, und er fiel nach vorn. Nur Cloughs schneller Griff nach seinem Arm verhinderte, daß er kläglich hinstürzte.
    »Was, zum Teufel …?« rief George aus und taumelte, bis er wieder gerade stand. Er drehte sich um und starrte in der zunehmenden Dunkelheit Charlie Lomas an, der zwischen den überall verstreut liegenden Holzscheiten stöhnend auf dem Rücken lag.
    »Ich glaube, Sie haben mir den Knöchel gebrochen«, beschwerte sich Charlie.
    »Was hast du da bloß gemacht?« fragte George und rieb sich ungehalten den Arm, wo Cloughs starke Finger sich in seine Muskeln gegraben hatten.
    »Ich bin nur hier gesessen und hab mich um meine eigenen Angelegenheiten gekümmert, ich wollte fünf Minuten Ruhe haben. Das ist doch kein Verbrechen, oder?« Charlie drehte sich zur Seite und stand auf. Er rieb sich mit dem Handrücken heftig übers Gesicht, und George bemerkte, daß die Augen des Jungen im Lichtschein aus dem Fenster tränenfeucht glänzten. Er sah nicht aus, als könnte er ein Kätzchen entführen, viel weniger ein Mädchen.
    »Denkst du an Alison?« fragte George verständnisvoll.
    »Es ist ein bißchen spät, mich plötzlich als Mensch zu behandeln, Mister.« Charlie zog trotzig die Schultern hoch. »Was ist denn mit euch nur los? Sie war meine Cousine. Meine Familie. Habt ihr denn niemand, um den ihr euch sorgt, daß ihr denkt, es ist so furchtbar komisch, wenn wir uns aufregen?«
    Charlies Worte rührten an etwas in Georges Erinnerung. Er hatte in seinem Berufsleben als Polizist schon früh gelernt, daß er seine Arbeit nicht so gut tun konnte, wie er wollte, wenn er den unverstellten Schmerz und den Ärger, auf die er bei seiner Arbeit so oft stieß, zu sehr an sein eigenes Inneres heranließ. Meistens gelang es ihm, die Mauer um sich herum aufrechtzuerhalten. Gelegentlich, wie zum Beispiel jetzt, stießen die zwei realen Welten jedoch zusammen. Plötzlich erinnerte sich George, daß er seit gestern abend noch um jemand anders wußte, um den er sich zu kümmern und zu sorgen haben würde.
    Dabei trat ein Lächeln auf sein Gesicht, das er nicht unterdrücken konnte. Er sah Verachtung in Charlie Lomas’ und Ratlosigkeit in Cloughs Augen. Aber plötzlich war das Bewußtsein des Kindes, das Anne trug, überwältigend für ihn.
    »Was ist denn so verdammt komisch?« platzte Charlie heraus.
    »Nichts ist komisch«, sagte George knapp und versuchte, zu einem normalen Gemütszustand zurückzufinden. »Ich habe gerade an meine Familie gedacht. Und du hast recht, ich wäre todunglücklich, wenn ihnen etwas zustoßen würde. Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe.«
    Charlie stand auf und klopfte sich mit den Händen ab. »Wie ich schon sagte, jetzt ist es ein bißchen spät dafür.« Er drehte halb den Kopf, so daß seine Augen im Schatten lagen. »Suchen Sie mich oder meine Großmutter?«
    »Deine Großmutter. Ist sie da?«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie ist noch nicht zurück.«
    »Zurück von wo?«
    »Ich habe sie gesehen, als wir von der Suche nach Alison zurückkamen. Sie ist über die Felder gegangen, da drüben zwischen der Stelle, wo Sie Shep gefunden haben und wo wir gestern waren, als Sie das … Zeug gefunden haben.« Charlie runzelte die Stirn, als erinnere er sich an etwas, das halb vergessen war. »Es war, als ob sie denselben Weg abginge, den der Squire am Mittwoch nachmittag gegangen ist.«
    Manchmal läßt eine bestimmte Wortfolge die

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