Ein Ort für die Ewigkeit
Mal begriff George, was eine Witwe aus Scardale wie Ruth Carter zu ihm hingezogen hatte. Wenn er lächelte, hatte Hawkin dieselbe verwegene Ausstrahlung wie der junge David Niven. Und dieselbe Gewandtheit, fügte George für sich hinzu, als Hawkin den beiden Beamten mit einer großzügigen Geste Zigaretten anbot. »Gott sei Dank gibt es eine vollkommen vernünftige Erklärung dafür«, sagte er und strengte sich an, seiner Stimme eine harmlose Leichtigkeit zu verleihen.
»Und die wäre?« fragte George und beugte sich vor, um sich Feuer geben zu lassen, wobei sein Blick nicht von Hawkins Augen wich.
»Ich bin oft draußen im Tal. Ich fotografiere, gehe über meine Felder und vergewissere mich, daß alles so ist, wie es sein sollte. Man muß immer danach sehen, sonst wären die Mauern nur Geröllhaufen aus Kalkstein. Und die Tore …« Er schob die Lippen vor und schüttelte den Kopf. »Jedenfalls, zufällig war ich gerade am Dienstag auf dem Feld, das Sie erwähnt haben. Offensichtlich haben mich zwei Leute aus dem Dorf da gesehen. Nachdem Alison verschwand, werden sie gestritten haben, an welchem Tag es war. Wenn ich ein Carter oder ein Crowther oder ein Lomas wäre, hätte man im Zweifelsfall zu meinen Gunsten entschieden, und sie hätten alle gesagt, es war am Dienstag. Aber ich bin ein Außenseiter, und so denken sie immer das Schlimmste von mir. Und vergessen wir nicht, sie sind wie die Kinder, ständig wollen sie sich in Szene setzen. Wenn es also bei den Carters, den Crowthers und den Lomas’ einen Zweifel gäbe, wofür man sich entscheiden sollte, würden sie automatisch eine Deutung der Ereignisse vorziehen, nach der sie selbst wichtig aussehen und ich in schlechtem Licht erscheine.« Hawkin lehnte sich im Sessel zurück, schlug ein Bein über das andere, und ein knochiges Fußgelenk und ein paar Zentimeter weiße, behaarte Haut zwischen Schlafanzug und Pantoffel kamen zum Vorschein.
»Sie sind sicher, daß es nicht am Mittwoch war?« fragte George.
»Ich bin vollkommen sicher.«
»Und Sie wären bereit, eine Aussage unter Eid zu machen?« fragte George. Nichts von dem, was Hawkin gesagt hatte, überzeugte ihn davon, daß Ma Lomas und Charlie sich geirrt hatten, aber ihre Aussage stand gegen seine. Und George wußte, wer als Zeuge glaubwürdiger sein würde.
Sie waren nach ein paar Minuten wieder in der Küche. Ruth Hawkin saß am Küchentisch, eine vergessene Zigarette im Aschenbecher neben ihr verwandelte sich in zentimeterlange graugesprenkelte Asche. Sie hielt die Hand vor den Mund gepreßt, und ihr Blick war auf die Titelseite einer Zeitung vor ihr auf dem Tisch gerichtet.
»Was ist los?« fragte Hawkin, und seine Stimme verriet tiefere Sorge um seine Frau, als George je zuvor von ihm gehört hatte. Wortlos schob sie den drei Männern die Zeitung hin. Es war die an diesem Nachmittag gedruckte Ausgabe des wöchentlich erscheinenden
High Peak Courant
. George starrte gebannt auf die Schlagzeilen der Titelseite:
VERWANDTER AUF POLIZEIWACHE
SUCHAKTION FORTGESETZT
Ein Mann wird in Zusammenhang mit dem Verschwinden des Schulmädchens Alison Carter aus Scardale von der Polizei in Buxton befragt. Der Mann soll ein Verwandter der Dreizehnjährigen sein, die seit dem späten Mittwoch nachmittag nicht mehr gesehen wurde.
Alison ging mit ihrem Collie Shep im Wald am Scarlaston spazieren, was sie oft tat, wenn sie aus der Schule nach Hause kam.
Spürhunde der Polizei wurden für eine gründliche, zwei Tage andauernde Durchsuchung des abgelegenen Tals eingesetzt. Farmer aus der Umgegend haben in einsam gelegenen Gebäuden nachgesehen, und die High-Peak-Bergwacht hat unzugängliche Schluchten abgesucht, wo Alison gestürzt sein könnte.
Die Fortsetzung der Suchaktion ist für das Wochenende geplant. Freiwillige werden aufgefordert, sich vor der Methodistenhalle an der B 8673 südlich von Longnor um acht Uhr dreißig am Samstag früh zu versammeln.
Der befragte Mann soll ein naher Verwandter Alison Carters sein und die Gegend von Scardale kennen, obwohl er seit zwanzig Jahren nicht mehr dort lebt.
Es heißt, er lebe in einem Heim für ledige Männer am Stadtrand von Buxton. Er soll in einer städtischen Behindertenwerkstätte beschäftigt sein, wo die Polizei ihn abholte, als er heute morgen zur Arbeit erschien.
Ein Sprecher der Polizei wollte den Bericht des
Courant
weder bestätigen noch dementieren, es wurde nur versichert, daß die umfassenden Ermittlungen zu Alisons Verschwinden fortgesetzt
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