Ein Ort für die Ewigkeit
ohne Ergebnis. Die Kriminalbeamten, die an diesen Fällen arbeiteten, klammerten sich einfach an jeden Strohhalm. Es war ihnen wichtiger, den Eindruck zu erwecken, daß sie in ihren hoffnungslosen Fällen etwas unternahmen, als ihm bei seiner Ermittlung zu helfen. Wäre er jemand gewesen, der Wetten abschließt, hätte er sein Geld darauf gesetzt, daß das Treffen morgen schon Gegenstand einer Presseverlautbarung der beiden anderen Polizeibehörden war. »Wäre es nicht besser, wenn DCI Carver dieses Treffen übernehmen würde?« fragte er verzweifelt.
Martin sah angeekelt auf seine Zigarette. »Sie haben generell eine bessere Kenntnis der Einzelheiten dieses Falls«, antwortete er kurz, drehte sich um und ging auf die Tür zu. »Elf Uhr, in der Kreispolizei«, sagte er, ohne sich noch einmal umzudrehen oder die Stimme zu erheben.
George stand nach diesem aufrechten Abgang Martins lange da und starrte auf die Tür. Er war zugleich wütend und hoffnungslos. Jetzt schrieben schon andere, unbeteiligte Personen Alisons Verschwinden als unwiderruflich ab. Ob sein Fall nun etwas mit den anderen zu tun hatte oder nicht, ihm war klar, daß seine Vorgesetzten von ihm nicht mehr erwarteten, daß er sie fand, und schon gar nicht lebend.
Er biß die Zähne zusammen, schob einen Stuhl neben die Schachteln mit Unterlagen und fing an, die restlichen Zeugenaussagen zu sichten. Er wußte, daß es wahrscheinlich sinnlos war. Aber es gab eine winzige Chance, daß dem nicht so war. Und er hatte das Gefühl, daß winzige Chancen die einzigen waren, die ihm noch blieben.
Sonntag, 15. Dezember 1963, 10 Uhr 30
Ausnahmsweise hatte eine der Zeitungen einmal das Richtige getan. Jedem
Sunday Standard
lag ein Bild im Format 30 × 48 cm bei. Zusätzliche Aushänge wurden an alle Zeitungshändler im Land verteilt, und jeder, an dem George auf dem Weg zur Wache vorbeigekommen war, hatte das Bild gut sichtbar angebracht. Unter die dicke schwarze Schlagzeile:
HABEN SIE DIESES MÄDCHEN GESEHEN ?
hatte die Zeitung eines von Hawkins ausgezeichneten Porträts von Alison gesetzt. Dann folgte der Text:
Alison Carter aus dem Dorf Scardale, Derbyshire, wird seit Mittwoch, den 11. Dezember, um halb fünf Uhr vermißt.
Merkmale: 13 Jahre alt, 1,53 groß, schlank, blond, blaue Augen, helle Haut, schräge Narbe an der rechten Augenbraue; sie trägt einen dunkelblauen Dufflecoat über einer Schuluniform, einen schwarzen Blazer, braune Strickjacke, braunen Rock, weiße Bluse, schwarzbraune Krawatte, schwarze Wollstrumpfhose und schwarze Stiefel mit Schaffell gefüttert.
Hinweise an die Derbyshire County Police in Buxton oder jede andere polizeiliche Dienststelle.
So konnten Journalisten der Polizei helfen, dachte George. Er hoffte, daß Don Smart sich an seinem Frühstück verschluckt hatte, als die Beilage aus seinem
Sunday Standard
gerutscht war. Er fragte sich auch, in wie vielen Häusern das Bild bei Anbruch der Dämmerung zu sehen sein würde. Er schätzte, es würden mehr Bilder von Alison Carter in den Fenstern der Gegend um den High Peak zur Schau gestellt werden als Weihnachtsbäume.
Das war ein guter Anfang für diesen Tag, dachte er froh. Und auch vorher hatte er schon gut begonnen. Da er nicht bereits beim Morgengrauen aus der Tür zu stürzen brauchte, hatten Anne und er Gelegenheit gehabt, langsam und entspannt aufzuwachen und gemütlich plaudernd noch liegen zu bleiben. Er hatte eine Kanne Tee nach oben gebracht, und sie hatten eine kostbare harmonische Stunde zur Besiegelung des gestrigen Abends zusammen verbracht. Hätte man ihn vorher gefragt, George hätte bestimmt heftig bestritten, daß er Alison Carter für mehr als eine oder zwei Minuten vergessen könnte. Aber irgendwie hatte Annes unkomplizierte Art ihm geholfen, abzuschalten und nicht an die frustrierenden Ermittlungen zu denken. Sie aßen bei Kerzenlicht zu Abend, dann kauerten sie zusammen auf der Couch, hörten Radio, träumten und machten zögernde Pläne für ihr ungeborenes Kind. Die Ruhepause war zwar kurz gewesen, hatte ihm aber Kraft und neues Selbstvertrauen gegeben, obwohl er unruhig geschlafen hatte.
George befestigte das Bild am schwarzen Brett des Büros der Kriminalpolizei mit Reißnägeln, die er von ein paar anderen offiziellen Bekanntmachungen abgenommen hatte. Es würde die Kollegen, die zu Besuch kamen, nachdrücklich darauf hinweisen, daß dieser Fall noch keineswegs abgeschrieben war. »Das sieht gut aus«, hörte er Tommy Cloughs Stimme
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