Ein Ort wie dieser
Und außerdem, wenn man Kinder mag … So etwas lässt sich nicht erzwingen. Ich muss ihre kleinen Gesichtchen sehen, ihre kleinen Bemerkungen hören und …«
»War es ein Abszess?«, unterbrach Cécile sie.
»Ein Abszess?«, wiederholte Chantal, als verstehe sie nicht, wovon die Rede war. »Ach ja! Ein Abszess … Nein. Karies. Voller Karies. Schrecklich. Diese Leute achten nicht auf ihre Kinder. Sie haben zu viele. Mein Mann hat mir gesagt, man mache sich keine Vorstellung, wie sehr es an der einfachsten Hygiene …«
Cécile wandte Madame Pommier den Rücken zu und ließ sie mitten im Satz stehen.
»Wirklich asozial«, schimpfte sie.
Seit Cécile vor Monsieur Montoriol zusammengebrochen war, hatte sie nicht wieder mit ihm gesprochen. Er schien ihre Verlegenheit zu verstehen und grüßte sie von weitem. Und doch nutzte Cécile die Pause, um an seine Bürotür zu klopfen.
»Ja, herein. Ach! Cécile …«
Er warf ihr einen raschen besorgten Blick zu, aber fuhr fröhlich fort, während er auf das Durcheinander auf seinem Schreibtisch deutete: »All dieser Papierkram, der wächst nach wie Unkraut! Und Sie, wie geht’s?«
»Ich wollte mit Ihnen über Donatienne sprechen. Wissen Sie, wen ich meine?«
»In der Dritten, zusammen mit Prudence und Pélagie.«
Man ertappte den Herrn Direktor nicht so leicht bei einem Fehler.
»Anscheinend hat sie Zahnschmerzen. Laut Madame Pommier hat sie starke Karies, die nicht behandelt wurde.«
Georges zögerte kurz, dann deutete er auf den Sessel, der auf der anderen Seite seines Schreibtischs stand.
»Setzen Sie sich.«
Er schwieg erneut, dann gab er sich einen Ruck: »Ich habe ein Problem mit den Baoulés. Ein großes Problem. Sie bezahlen die Kantine nicht mehr. Die Stadtverwaltung hat mich informiert. Die Septemberrechnung wurde nicht beglichen, und sie sind noch im Rückstand vom letzten Schuljahr.«
»Sie haben nicht genug Geld, um zu zahlen«, sagte Cécile schroff.
Sie ereiferte sich. Sie dachte an Démor, an Toussaint.
»Das ist offensichtlich«, räumte Georges ein. »Ich … Ich wollte Monsieur Baoulé kontaktieren, um mit ihm zu bereden, was man tun könnte. Aber …«
Er hob einen Stapel hoch.
»Er hat mir keine genaue Adresse gegeben. Saint-Jean-de-Cléry. Das ist alles. Keine Telefonnummer. Nichts. Und wenn die Schule aus ist, sehe ich nie jemanden.«
»Man braucht nur die Kinder zu fragen.«
Georges nickte.
»Alphonse hat mir geantwortet, ihr Haus sei nicht in einer Straße. Er hat mir nichts anderes sagen können. Oder er hat nicht gewollt.«
»Und wegen der Kantine?«, fragte Cécile.
Georges Hände verkrampften sich über einem Blatt mit Verwaltungsbriefkopf.
»Ich habe quasi den ›Befehl‹ erhalten, den Baoulés kein Essen mehr auszugeben.«
Cécile sprang von ihrem Sessel auf.
»Was? Und … werden Sie sich daran halten?«
Vor Wut schnappte sie nach Luft. Ein unbekanntes Gefühl überwältigte sie. Empörung. Georges hielt ihrem Blick stand und knüllte gleichzeitig das Blatt zusammen.
»Nein«, sagte er. »Ich werde das aus dem Budget der Schulgenossenschaft bezahlen. Aber ich riskiere Scherereien.«
Das Klingeln zum Pausenende ertönte. Georges und Cécile standen gleichzeitig auf.
»Ich habe Ihnen von all dem nichts erzählt, nicht wahr?«, murmelte der Herr Direktor.
»Und die Karies der Kleinen?«
Georges machte eine machtlose Geste: »Ich habe nicht einmal das Recht, ihr Aspirin zu geben!«
Nach der Pause nutzte Cécile die kleine Mathematik-Fördergruppe, um Démor zu fragen: »Sind es bis zu dir nach Hause viele Haltestellen?«
Démor blähte die Backen auf, um auszudrücken, dass er keine Ahnung hatte.
»Wie lange brauchst du?«, hakte Cécile nach.
Dieselbe Grimasse.
»Kennst du deine Adresse?«
»Das ist der Bahnhof«, antwortete der Kleine.
»Die Bahnhofstraße?«
»Nein, der Bahnhof.«
Cécile gab das Spiel auf. Aber nach dem Mittagessen suchte sie auf dem Hof Donatienne. Neben ihr standen die Zwillingsschwestern, die versuchten, sie zu trösten.
»Hast du immer noch Zahnweh?«, fragte Cécile mit Verschwörermiene.
Donatienne nickte traurig.
»Ich habe Aspirin gekauft, komm und hol dir ein Glas Wasser in der Küche.«
Das war gegen die Vorschrift. Die Sache musste also unauffällig vonstattengehen.
»Danke«, sagte die Kleine, als sie das Glas zurückgab.
»Ich müsste mit deiner Mama reden. Glaubst du, ich könnte nach der Schule kurz bei euch vorbeikommen?«
Die Augen des Mädchens
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