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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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weiteten sich verwundert. Sie war misstrauisch.
    »Warum wollen Sie denn mit ihr reden?«
    »Wegen des Zahnarztes. Du musst zum Zahnarzt gehen.«
    Die Kleine senkte den Kopf und nuschelte: »Ich darf nicht. Das hat die Dame von der Ambulanz gesagt.«
    Wieder wurde Cécile von der Empörung fast überwältigt.
    »Aber wieso das denn? In Frankreich hat jeder das Recht, behandelt zu werden!«
    Donatienne schüttelte den Kopf.
    »Wir haben nicht die richtige Karte. Das ist eine grüne Karte, aus Plastik. Die Dame, die hat gesagt, ich soll in der Elfenbeinküste zum Zahnarzt gehen. Und da hat sie sogar gelacht, weil die Zähne, die sind doch aus Elfenbein.«
    Die Wut schüttelte Cécile wie einen Baum im Sturm.
    »Das werden wir sehen, ob du kein Recht hast«, murmelte sie. »Das werden wir noch sehen.«
     
    Als die Schule aus war, rannte Démor zu seinem großen Bruder und rief: »Es qué émaitressi cloi ba aolo wafan? [2] «
    Cécile näherte sich Alphonse, der seinen Clan versammelte. Er sah ihr direkt in die Augen: »Sie wollen zu uns nach Hause kommen?«
    Alle Kleinen verschlangen sie mit Blicken.
    »Ja … also … wenn du denkst, dass das möglich ist.«
    Alphonse wusste, dass sein Vater Angst vor Weißen hatte, den Whities, wie er sie nannte.
    »Sie kommt«, sagte Leon.
    »Sie kommt, sie kommt!«, riefen Démor und Toussaint.
    Alphonse stimmte zu, wie es eben ein Mann tut, der die Verantwortung trägt.
    »Aber es ist weit«, warnte er.
    Cécile lächelte amüsiert. Saint-Jean-de-Cléry war nur ein paar Straßenbahnhaltestellen entfernt. Sie war daher sehr überrascht, als die Kinder an der Haltestelle vorbeigingen und den Weg unter den Arkaden der Rue Principale einschlugen.
    Alphonse ging voran, und Cécile fragte sich, warum er seinen Pulli nicht anzog. Es wurde dämmrig, und es wehte ein scharfer Nordwind. Ausnahmsweise hatte Leon sich von der Spitzengruppe gelöst, trieb sich um die Lehrerin herum und warf ihr ungläubige Blicke zu. Sie war da, sie lief mit ihnen! Wie konnte er ihr sagen, dass er in sie verliebt war, ohne dass die anderen ihn hörten? Es war schwierig, weil Démor und Toussaint sie an der Hand genommen hatten und ihr einen Haufen Unsinn erzählten. Sie tat, als würde sie ihnen zuhören, während sie dachte: Wohin gehen die nur? Wir laufen jetzt eine gute Viertelstunde. Und das mit den dicken Ranzen, die sie schleppen müssen!
    Nur die Ranzen von Démor und Toussaint waren leicht, da sie weder Bücher noch Hefte zu transportieren hatten.
    »Ist es noch weit?«, fragte Cécile wie ein Kind, das ungeduldig wird.
    Die Gebäude der Innenstadt hatten Einfamilienhäusern und dann Einkaufszentren Platz gemacht.
    »Oje, oje, ja!«, seufzte Toussaint.
    »Aber wir sind schon bei Auchan. Jetzt essen wir etwas«, fügte Leon hinzu, um seiner Angebeteten Mut zu machen.
    »Ich hab das nicht gewusst, ich hab nichts für die Lehrerin mitgenommen«, sagte Clotilde entschuldigend.
    Sie öffnete ihren Ranzen und holte ein erstes Stück Brot heraus.
    »Das macht nichts«, erwiderte Leon, der halb tot vor Hunger war, aber sich opferte. »Ich gebe ihr meins.«
    Er hielt der immer erstaunteren Cécile ein Stück Brot hin.
    »Nein, das ist lieb von dir, Tiburce, ich habe keinen Hunger.«
    »Ich heiße Leon«, verbesserte der kleine Junge gekränkt.
    Cécile hatte nicht den Blick vom Herrn Direktor, der die Baoulé-Kinder an ihrer Kleidung erkannte, die sich nie änderte.
    »Ich hab einen Apfel!«, rief Felix. »Magst du davon, Leon?«
    »Nein, nein.«
    Er wollte vor Cécile nicht als Vielfraß dastehen.
    »Ich hab einen kleinen Käse«, rief Alphonse. »Magst du davon, Leon?«
    »Jetzt lasst mich doch in Ruhe«, knurrte er.
    Cécile bemerkte, dass er leicht hinkte. Donatienne wiederum sah starr geradeaus, mit der Schicksalsergebenheit leidender Kinder. Honorine wusste nicht mehr, wie sie ihren Ranzen tragen sollte, so sehr zog er ihr an den Schultern.
    »Soll ich deine Tasche nehmen, Victorine?«, schlug Cécile ihr vor.
    »Ich bin Honorine. Nein, das geht schon.«
    »Wir sind Neger. Wir sind stark«, erklärte Leon angeberisch.
     
    Cécile lief in einem Nebel von Müdigkeit. Wie konnten diese Kinder nach einem ganzen Schultag und mit so schweren Ranzen nur durchhalten? Sie hörte ihren Atem, der zum Ächzen wurde, sie sah ihre Rücken, die sich nach und nach beugten.
    »Da ist der Baumarkt Bricoman«, erklärte Leon, der sich sehr um sie zu sorgen schien. »Danach ist es nicht mehr weit.«
    »Das erinnert mich

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