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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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ihr komplizenhaft zu. Tatsächlich fühlte er sich jung und voller Tatendrang. Fünfzig, was für ein Witz!
    »Kennen Sie meine Frau?«, fragte er Cécile.
    Er wandte sich zu einer kleinen Dame ohne Alter und ohne Anmut: »Elisabeth, das hier ist unsere junge Kollegin Cécile Barrois.«
    Madame Montoriol schüttelte Cécile die Hand und gab einen ganzen Schwung von Banalitäten über das Wetter, die Kinder, den schönen Beruf der Grundschullehrer und die früheren Weihnachtsfeiern von sich. Cécile nickte,
ja, natürlich, ganz, wie Sie sagen, ja, das stimmt.
Sie war fassungslos. Sie hatte sich schon gedacht, dass Georges verheiratet war. Aber doch nicht mit so was! Während Elisabeth mit Cécile redete, folgte sie ihrem strahlenden Ehemann mit Blicken, so wie man die Milch auf dem Herd im Blick behält.
     
    »Guten Tag«, sagte eine brummige Stimme in ihrem Rücken. »Sie sind die Lehrerin von Steven, wie?«
    Cécile drehte sich um und sah einen großen, dicken Kerl, der so aussah, als wäre er von oben bis unten tätowiert.
    »Ich bin der Papa von Steven.«
    »Ach, ja, sehr schön, danke«, stammelte Cécile.
    »Ich hab jetzt das Sorgerecht für den Kleinen, jetzt wo seine Mutter das entzogen bekommen hat.«
    Er schwieg einen Moment, wartete auf eine Antwort. Da nichts kam, fügte er hinzu: »Und … ähh … ich hoffe, es läuft mit Steven? Er … er gibt sich nämlich Mühe, hat er mir gesagt.«
    »Ja, es läuft, es läuft …«
    Cécile hörte den Satz von Montoriol, der wie ein Totengeläut widerhallte:
Hier ist nicht der richtige Ort für ihn, hier ist nicht der richtige Ort für ihn.
    »Gut, also, danke … wegen Steven.«
    Cécile lächelte, und der große Kerl ging unbeholfen, schwerfällig und mit schlenkernden Armen davon. Hier war nicht der richtige Ort für ihn.
     
    In einen Winkel gedrückt, überblickte Cécile die ganze Versammlung und versuchte herauszufinden, wer wer war. Sie wusste, dass die Baoulé-Eltern nicht kommen würden. Sie blieben lieber unauffällig. Sie glaubte, Madame Cambon wiederzuerkennen, eine recht kräftige Frau mit energischem Kinn, begleitet von einem mürrischen Teenager. Dann fiel ihr Blick auf das Paar, das gerade hereinkam. Sie waren beide groß und sehr aufrecht, der Mann sehr vornehm, ein Gebaren wie ein Diplomat, die Frau sehr apart, das aschblonde Haar zu einem Knoten hochgesteckt. Die Saint-Andrés. Cécile hätte darauf gewettet. Bei der Mutter erkannte sie die Anmut von Eglantine und die grauen Augen von Eloi. Madame de Saint-André begrüßte den Direktor. Sie schien sehr sanftmütig, sehr abgespannt, langweilte sich bereits im Voraus, tat dies aber wie ein wohlerzogener Mensch. Wenn sie mit jemandem redete, so schien sie jemand anderen in der Ferne zu suchen. Monsieur de Saint-André, sehr steif, hatte ein schmales ironisches Lächeln um die Lippen. Cécile ergriff die Flucht und kehrte zu ihren Schülern zurück.
    »Sind ein paar Leute da?«, erkundigte sich Omchen mit zittriger Stimme.
    »Ein paar«, antwortete Cécile, die gerade einen brechend vollen Raum verlassen hatte.
     
    Um zehn Uhr forderte Monsieur Montoriol alle Eltern auf, Platz zu nehmen. Madame Pons, die liebensswürdige Mama von Louis, setzte sich in die dritte Reihe, zwischen Monsieur de Saint-André und Madame Marchon, ihre Kollegin im Benjamin-Franklin-Gymnasium. Madame Marchon wandte sich zu ihr: »Du hast doch deinen Sohn auch in der Ersten bei Mademoiselle Baron?«
    »Barrois«, verbesserte Madame Pons. »Louis vergöttert sie!«
    »Ach ja?«, erwiderte Madame Marchon verblüfft.
    Aber es ging los. Ein kleiner Junge trat auf die Bühne. Im Zuschauerraum reckten sich die Hälse, man wollte alles sehen. Es war ein schwarzer kleiner Junge.
    »Die Schüler der Louis-Guilloux-Grundschule sind glücklich, Sie … Sie heute zu begrüßen.«
    Es war Leon. Er warf einen unauffälligen Blick auf die Seite der Bühne in Richtung Direktor. Georges sah ihn mit großen Augen an, um ihn zu ermuntern.
    »Wir hoffen, dass Sie alle eine schöne Zeit … eine schöne Zeit mit uns verbringen und … ähh … ähhh …«
    Ein Hänger. Er sah auf seine schönen neuen Turnschuhe, lächelte breit und rief: »Schöne Weihnachten!«
    Unter Gelächter und Applaus machte er sich davon. Daraufhin entwischte aus der in die Seitenbühne verwandelten Schulküche ein kleiner Hase. Er lief auf Zehenspitzen. Wieder reckten sich die Hälse, man wollte alles sehen. Es war ein schwarzer kleiner Hase.
    »Ja, gibt’s da

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