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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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nur Neger?«, kommentierte eine schwerhörige alte Dame, ohne zu merken, dass alle es hörten.
    Hinter Démor folgte die gesamte Hasentruppe, einer niedlicher als der andere, alle auf Zehenspitzen. Im Saal kam Gelächter auf, und das Stück konnte beginnen. Cécile hatte sich von verschiedenen afrikanischen Märchen anregen lassen und ihre Geschichte mit kurzen Liedern versehen, die die Kinder mehr oder weniger falsch, aber mit großem Eifer sangen. Louis’ Mama schmolz vor Zärtlichkeit und Rührung dahin. Monsieur de Saint-André rutschte auf seinem Stuhl hin und her, es war ihm ziemlich peinlich, dass seine kleine Eglantine das Publikum zum Lachen brachte, indem sie den schwarzen Jungen »mein Hasenschatz« nannte. Als es zu Ende war, hörte seine Sitznachbarin, Madame Pons, ihn laut erklären: »Nun, also, wenn immer alles gleich sein muss …«
    Aber die Erstklässler und ihr Omchen erhielten großen Applaus, und Georges suchte Cécile, die in der hintersten Ecke der Küche saß.
    »Kommen Sie zum Applaus auf die Bühne!«
    »Nein, nein, nein, nicht notwendig, das waren doch die Kinder …«
    »Cécile, das ist Ihre Arbeit.«
    »Nein!«
    Sie hatte beinahe geschrien und warf Georges einen Blick zu wie ein Tier, das bereit ist zuzubeißen. Ein wenig verstimmt ging er wieder und gab Madame Muller ein Zeichen, sie solle mit ihren Zweitklässlern weitermachen. Melanie startete die CD von
Street Generation.
    »Mach dich locker und mach mit!«
, kommentierte Monsieur de Saint-André. »Wenn das heute das Niveau ist …«
    Die Eltern waren recht erstaunt, ihre siebenjährigen Lolitas zu entdecken, die auf der Bühne wie im echten Leben eine gute Länge Vorsprung vor ihren männlichen Klassenkameraden hatten. Während die Jungen sich in der Reihenfolge der Bewegungen vertaten und kicherten, beherrschten die Mädchen tadellos die Choreographie von
Street Generation
, riefen »eins, zwei, drei«, eins, die Hände auf dem Hintern, zwei an die Brust, drei, den Zeigefinger ins Publikum gestreckt. Melanie Muller spürte, wie ihr die Haare zu Berge standen. Was würden die Eltern sagen? Sie suchte bereits nach ein paar entschuldigenden Worten, als sie merkte, dass die Väter die Mädchen fotografierten und die Mütter lachten – zwar ein wenig verlegen, aber sehr stolz.
    »Das ist ein bisschen grenzwertig«, urteilte Madame Marchon, deren Jean-Sébastien die zweite Klasse besuchte.
    Madame Pons sagte sich, dass sie sich ganz entschieden einen schlechten Platz ausgesucht hatte – zwischen zwei Miesmachern. Bei den Drittklässlern konnte sie ein wenig verschnaufen, wenn man mal davon absah, dass Monsieur de Saint-André auf die Uhr blickte, seufzte, seine langen Beine übereinanderschlug und wieder streckte, »Hier sitzt man so schlecht« murmelte, nach Eglantine suchte und dabei halb aufstand, kurz, alles tat, was er nur konnte, um zu zeigen, dass die laufende Vorstellung ihn überhaupt nichts anging. Madame Marchon auf der anderen Seite blühte auf. Es war ihr Jean-Daniel, der da steppte und dessen Leistung alle bewunderten. Madame Pommier, die nicht viel für die Aufführung getan hatte, versäumte es nicht, auf die Bühne zu steigen, um den Applaus einzuheimsen. Dann ergriff der Herr Direktor wie üblich das Wort: »Liebe Eltern, liebe Großeltern und auch ihr, liebe Kinder – Sie erwarten und ihr erwartet natürlich alle Weihnachten. Weihnachten bedeutet feiern, bedeutet, die ganze Familie zu sehen, gut zu essen, und es bedeutet … Geschenke. In der Louis-Guilloux-Grundschule lehren wir die Kinder, dass nicht alle dieselben Chancen im Leben haben …«
    Es folgte eine kleine Predigt über die Ungerechtigkeit dieser Welt und die Bedeutung des Teilens, über das Wort »Brüderlichkeit«, das häufiger in Stein gemeißelt steht, als es in unseren Herzen eingeprägt ist, und über die Werte, die unseren lieben Kleinen vermittelt werden müssen. Es wurde höflich applaudiert.
    »Der brave Montoriol hat seinen Beruf verpasst, er hätte einen ausgezeichneten Pfarrer abgegeben«, kommentierte Monsieur de Saint-André sarkastisch.
    Die Viertklässler betraten die Bühne, alle in Schwarzweiß, da Innenstadteltern über die gute Eigenschaft verfügen, diszipliniert zu sein. Tiburce, Felix, Clotilde und Alphonse mussten sich ihrer Kleidung nicht schämen, denn Monsieur Montoriol hatte aus eigener Tasche weiße T-Shirts bezahlt.
    »Ja, wo holen die nur all die kleinen Neger her?«, bemerkte die schwerhörige Dame.
    Das war

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