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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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du mich?«
    »Ja, ja, ja!«, rief sie gereizt.
    Er drehte sich um, als wollte er sie verlassen. Aber er besann sich, kehrte um und sagte, als habe er nachgedacht: »Übrigens, ich dich auch.«
    Und daraufhin entfernte er sich wirklich.
     
    An diesem Mittwochnachmittag wollte Cécile die Abwesenheit ihrer Mutter in der Wohnung nutzen, um mit ihrer Arbeit voranzukommen. Madame Barrois hatte eine Teilzeitstelle in einer Änderungsschneiderei gefunden. Sie nähte Reißverschlüsse und säumte Hosen. Diese Tätigkeit hatte sie aus der Depression geholt. Der berufliche Erfolg ihrer Tochter, die jetzt Lehrerin war, und das erstaunliche Wachstum von Gil genügten, in ihr eine Art Zufriedenheit zu erhalten, die Cécile bloß nicht erschüttern wollte. Sie hatte ihr daher nichts von dem Unterrichtsbesuch erzählt.
    Sie schlug ihr großes, völlig vollgekritzeltes Heft sowie das leere, jungfräuliche Heft auf, das sie gerade gekauft hatte, um alles noch einmal säuberlich abzuschreiben. Los, an die Arbeit! Sie schrieb das erste Datum hinein: 2 . September, dann versank sie plötzlich, das Kinn auf die Faust gestützt, in Träumereien. Vor sich sah sie … Robin, der nicht in die Schuuule gehen wollte, Monsieur Montoriol, der sich im Pausenhof in der Sonne wärmte, Eglantine und Toussaint, die sich an der Hand hielten, Leon, der ihr sein Brotstück entgegenstreckte, Démor, der als Kicko-Kack Hase verkleidet war, Eloi auf dem Bett, Georges, der wie ein Schuljunge lachte, Eloi, der sich am Rand des Wassers um sich selbst drehte. Vorsicht! Sie machte eine Bewegung, wie um ihn zu packen, als würde er fallen. Dann kehrte sie aus ihrem Traum zurück und schüttelte betrübt den Kopf. Es gelang ihr nicht zu arbeiten. Wo war die gewissenhafte und fleißige Schülerin geblieben? Die Schule, die große Schule des Lebens, ähnelte in nichts dem, was Papa versprochen hatte.

Kapitel 19 In dem Kicko-Kack Hase keinen Bau mehr hat
    Leon stieß einen Freudenschrei aus, als er aus der Schule rannte: »Mimami!«
    Seine Mutter war gekommen und stand in ihrem Boubou fröstelnd vor dem Tor, barfuß in Flipflops, mit der schlafenden Eden platt an ihrem Rücken. Clotilde und Donatienne, die beiden großen Schwestern von Eden, kamen und streichelten den kleinen Lockenkopf. Die verwitwete Madame Baoulé blieb mit starrem Gesichtsausdruck auf dem Bürgersteig stehen, ohne ihre Kinder zu begrüßen. Mit dem Blick suchte sie ihren Neffen Alphonse. Monsieur Montoriol ließ seine Schüler häufig als Letzter gehen. Endlich entdeckte sie ihn. »Alphonse!«
    Der Junge kam näher, zuerst lächelnd, dann mit besorgtem Gesicht.
    »Was ist los?«
    »Wir haben kein Haus meh’«, flüsterte seine Tante ihm zu. »Die Polizei …«
    Monsieur Montoriol kam näher, und sie wandte rasch den Kopf ab. Sie hatte Angst vor Männern.
    »Guten Tag, Madame Baoulé«, begrüßte der Herr Direktor sie mit seiner Feiertagshöflichkeit. »Ich hoffe, Sie sind wohlauf? Und Ihr Baby?«
    Als Antwort erhielt er nur ein verschrecktes Schweigen.
    »Wir haben kein Haus mehr«, sagte Alphonse halblaut.
    »Chétché, chétché, bla!«, murmelte seine Tante.
    Sie packte Leon am Kragen und schob Donatienne vor sich her. Aber Alphonse weigerte sich, ihr zu folgen, und Monsieur Montoriol hörte zu seiner Überraschung, wie sein junger Schüler zornig in einer unbekannten Sprache redete. Er stritt sich mit seiner Tante. Dann wandte er sich befehlend an Leon, und der kleine Junge riss sich von seiner Mutter los. Schließlich hob Alphonse einen extrem eindringlichen Blick zu seinem Lehrer: »Stimmt es, dass man Rechte hat, wenn man Kind ist?«
    »Ja«, antwortete Georges leicht verunsichert.
    »Auch das Recht, ein Zuhause zu haben?«
    »Ja.«
    Alphonse warf seiner Tante ein kurzes triumphierendes Lächeln zu. Dann erklärte er: »Die Polizisten sind zum Bahnhof gekommen, und sie haben alle unsere Sachen rausgeworfen, und sie haben die Tür zugenagelt. Und wir haben kein Zuhause mehr.«
    »Das war besetzt!«, rief Leon, recht zufrieden, diesen genaueren Hinweis geben zu können.
    Cécile, die gerade Madame Cambon zu Audreys Fortschritten gratuliert hatte, gesellte sich zu der Ansammlung.
    »Was ist los?«
    Montoriol deutete auf die zwölf Kinder, die Frau und ihr Baby: »Sie stehen auf der Straße. Die Polizei hat sie gerade rausgeworfen.«
    Ein paar Eltern begannen, zu den Baoulés herüberzuschielen. Georges spürte, dass er eine Entscheidung treffen musste.
    »Wir gehen rein«, sagte er.

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