Ein Ort wie dieser
herrlich geführte Klassenbuch von Melanie mit den unterstrichenen Themen und den mit Textmarker markierten erreichten Lernzielen.
»Cécile«, schimpfte Georges. »Was ist das für ein … für ein Schmierheft? Entschuldigen Sie, aber es gibt kein anderes Wort dafür.«
Sie hatte kreuz und quer geschrieben, durchgestrichen, Ergänzungen eingefügt, Pfeile gezeichnet, zusätzliche Blätter eingeklebt.
»Aber der Tag verläuft nie so wie vorgesehen«, jammerte sie. »Oh, ich schaffe das nie. Lassen Sie es bleiben.«
»Aber keineswegs. Sie werden ein neues Heft kaufen und alles säuberlich abschreiben. Verstanden?«
Sie nickte schweigend. Sie würde ihre Nächte damit verbringen.
»Gut, zeigen Sie mir jetzt Ihre Unterrichtsentwürfe, zum Beispiel für Mathematik.«
Cécile warf ihm einen verzweifelten Blick zu.
»Sie machen doch wohl Unterrichtsentwürfe?«, fragte er und begann, sich aufzuregen.
»Ja, ja. Aber nicht immer. Vor allem in Mathe. Ich schaffe es nicht. Dabei gehe ich um Mitternacht schlafen, aber …«
Sie war ganz die schlechte Schülerin, die jammert, während sie die schlechtesten Ausreden vorbringt. Schließlich lächelte Georges ihr zu und flüsterte: »Ich mache keinen einzigen Unterrichtsentwurf mehr. Aber ich wollte Ihnen zeigen, was der Inspektor fordern wird. Sie müssen eine komplette kleine Sammlung von Karteikarten haben, auf denen vermerkt ist: Ziel der Lerneinheit so und so, Ablauf der Einheit so und so, voraussichtliche Beurteilungen blabla.«
Danach begaben sie sich in ihren Klassenraum, um ihn zu überprüfen.
»Sie werden Ihren Schülern sagen, dass ein Herr zu Besuch kommt, der sich vergewissern will, dass sie gut arbeiten.«
»Aber er kommt doch nicht wegen ihnen!«, rief Cécile.
Georges schloss müde die Augen.
»Das sagen wir alle unseren Schülern! So halten sie während des Unterrichtsbesuchs Ruhe. Sehen Sie sich das Fach hier an!«
Der kleine Schreibtisch quoll über. Bücher, Blätter, Mäppchen, Spielzeug überall. Es war der Platz von Baptiste.
»Alles muss blitzsauber aufgeräumt sein. Wenn die Kinder ihre Sachen nicht absolut ordentlich hinlegen, dürfen sie eben nicht in die Pause. Wo ist Ihre Schülerliste?«
»Meine … oh, die ist bei einer Rangelei zerrissen worden und dann …«
»Wollen Sie das Marchon erzählen? Cécile! Sie müssen Ihre Liste mit den Namen der Schüler an der Wand hängen haben, außerdem hängen da der Stundenplan, die erreichten Lernziele in Französisch und Mathematik …«
Er ging mit großen Schritten durch den Klassenraum, öffnete Schränke, leerte den Inhalt von Fächern auf den Boden, riss hässliche Zeichnungen von der Pinnwand. Cécile knetete die Hände. Schließlich rief sie empört: »Glauben Sie, so könnten Sie mir helfen?«
Verwirrt blieb er stehen.
»Ja … ähh … entschuldigen Sie. Aber Sie … Sie sind wirklich ein bisschen chaotisch.«
Er war wirklich wütend geworden.
»Ich weiß, dass Sie die Kinder lieben und ihnen viel geben. Aber es fehlt Ihnen an Strenge.«
Sie schüttelte den Kopf, weil sie erneut Zweifel gepackt hatten.
»Ich bin für diesen Beruf nicht gemacht.«
»Doch, doch! Sie wollten zu perfekt sein, wollten Ihre Methode einführen, auf das Lehrbuch verzichten! Das Ergebnis: Sie sind überfordert. Sie fangen gerade erst an, mein Schatz …«
Sie starrte ihn verschreckt an, und er wurde roter als sie. Es war ihm ganz natürlich über die Lippen gekommen. Er räusperte sich.
»Und daher werden wir, ähh, am Mittwoch gründlich Ihren Klassenraum aufräumen.«
Er würde schon irgendeine kleine Lüge finden, die er seiner Frau erzählen würde.
»Heute Abend schreiben Sie mir ihre Unterrichtsentwürfe für Mathematik!«, fügte er hinzu und sah auf die Uhr.
Dann murmelte er zu sich selbst: »Jetzt muss ich aber los.«
Sie trennten sich etwas flüchtig hinter dem Schultor, aber Cécile konnte nicht umhin, ihrem Direktor zuzuflüstern: »Denken Sie an das Brot.«
Er lächelte und flüsterte zurück: »Sie kleines Mäuschen …«
Das war sie, ein kleines graues Mäuschen. Das einem aber gut das Herz anknabbern konnte.
Am nächsten Tag wusste das gesamte Kollegium – ohne, dass bekannt geworden wäre, wo die undichte Stelle saß – darüber Bescheid, dass Cécile einen Unterrichtsbesuch erhalten würde. Melanie sagte ihr mit Beileidsstimme guten Tag und schüttelte ihr kräftig die Hand.
»Diesen Mann«, erklärte Chantal im Lehrerzimmer, »habe ich nie ausstehen
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