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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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»Auf der Straße kann man nicht überlegen.«
    Das Tor schloss sich hinter ihnen. Sie waren in Sicherheit.
     
    Es war Pause bei der Hausaufgabenbetreuung, und Kinder spielten im Hof Fangen. Georges setzte sich mit Alphonse ab: »Wo sind deine Eltern?«
    »Sie arbeiten.«
    »Weißt du, wie man sie erreichen kann?«
    Alphonse schüttelte den Kopf. Er schien weder besorgt noch niedergeschlagen. Er hatte Vertrauen in seinen Lehrer. Georges zog sein Handy aus der Tasche, eine technische Spielerei, die er lange Zeit verachtet hatte, und rief seine Frau an, um ihr mitzuteilen, es sei ihm »eine Kleinigkeit dazwischengekommen«. Dann winkte er Cécile zu sich, die die Kleinsten tröstete.
    »Wissen Sie die Telefonnummer des Vereins für Ausländerhilfe?«
    Sie nickte und nahm das Telefon, das er ihr hinhielt.
    »Was sage ich ihnen?«
    »Dass wir vierzehn Personen zu ihrer Verfügung haben.«
    Cécile stieß auf Nathalie, die Bereitschaftsdienst hatte, und wurde abgekanzelt.
    »Vierzehn! Mehr nicht? Wo soll ich die Ihrer Ansicht nach unterbringen? Bei uns ist kein Platz. Aber diese Besetzung war sowieso Blödsinn, das habe ich immer gesagt. Ihre Baoulés müssen verteilt werden.«
    »Aber wer kann sie aufnehmen?«, fragte Cécile.
    »Ja, glauben Sie, ich hätte eine Liste? Unternehmen Sie was! Telefonieren Sie, klingeln Sie rum. Es sind nie nur vierzehn Personen. Es stehen Hunderte weitere auf der Straße.«
    Sie legte einfach auf, und Cécile sagte zu Georges: »Sie hat mich abblitzen lassen. Die ist doch … Die spinnt doch.«
    »Ach ja?«, erwiderte Georges fassungslos.
    Ein wenig voreilig hatte er gehofft, das Problem an Fachleute weiterreichen zu können.
    »Haben wir heute Abend kein Haus?«, fragte eine Stimme neben ihm.
    Er zuckte zusammen. Ohne das Vertrauen zu verlieren, sah Alphonse ihn fragend an. Montoriol spürte einen Kloß im Hals.
    »Ich bin nicht Aladin, ich werde dir kein Schloss aus der Erde stampfen!«
    Der kleine Junge senkte den Kopf, unzufrieden, so angefaucht zu werden, aber immer noch vertrauensvoll. Im Pausenhof wurde es bereits dunkel.
    »Wir sollten sie ins Warme bringen«, schlug Cécile leise vor.
    Ein Weinen war zu hören. Eden war gerade aufgewacht, und ihre Mutter versuchte nicht einmal mehr, sie zu beruhigen.
    »Und jetzt auch noch das Baby«, murmelte Georges, kurz davor, die Geduld zu verlieren. »Gut, Alphonse, bring alle in die Bibliothek!«
    »Ja, Monsieur.«
    Er suchte zum letzten Mal den Blick seines Lehrers, und der Herr Direktor begriff, dass er in die Enge getrieben war. Entweder hatten die Kinder Rechte, wie er behauptete, oder seine hübschen Lieder waren nur leeres Geschwätz.
    »Sag Omchen, dass ihr die Erlaubnis habt, euch dort einzurichten.«
    »Ja, Monsieur.«
    In wenigen Sekunden leerte sich der Hof. Georges blieb einen Augenblick dort und betrachtete ihn. Zweifel setzten sich in ihm fest. Er war der Situation nicht gewachsen.
    »Ich kann einen oder zwei Kleine mit nach Hause nehmen«, schlug Cécile schüchtern vor.
    »Wie bitte?«
    Cécile wiederholte ihren Satz.
    »Das löst das Problem nicht«, brummelte Georges.
    Da hörte er eine Stimme, die über den Hof drang: »Monsieur Montoriol!«
    Omchen kam angerannt: »Isses wahr, was die sagen, die Bamboulas? Die Polizei hat ihnen das Haus weggenommen?«
    »Es war ein besetztes Haus«, verbesserte der Herr Direktor. »Es ist geräumt worden.«
    »Aber wo schlafen die dann jetzt?«
    »Das ist in der Tat die Frage«, stieß Georges gereizt aus.
    »Also, wenn das helfen tät, ich hab ein Zimmer, das von meinem Großen. Der ist nicht mehr da. Da können mindestens zwei rein. Der Kleine da, der ganz verbrannt ist im Gesicht, und dann sein Zwilling.«
    »Sie würden Démor und Toussaint aufnehmen?«, fragte Georges mit einem Funkeln tief hinten in den Augen.
    »Und ich mach ihnen Suppe und so.«
    Georges wandte sich an Cécile: »Sie sagten, Sie könnten …«
    »Ich … Ich habe ein Sofa im Wohnzimmer«, stammelte Cécile. »Den … Den kleinen Leon zum Beispiel, der könnte …«
    »Gut. Ich nehme Alphonse«, beschloss Georges.
    Etwas sagte ihm: Jetzt oder nie. Jetzt wirst du wissen, was du wert bist, was die anderen wert sind.
    »Ich rufe Chantal an. Sie wohnt gleich nebenan.«
    »Madame Pommier?«, fragte Cécile erstaunt.
    »Madame Pommier«, bestätigte Montoriol beinahe unerbittlich. »Sie wird uns doch wohl einen kleinen Armen unterbringen, oder nicht? Hallo, Chantal? Montoriol am Apparat.«
    Cécile trat beiseite,

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