Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
Vom Netzwerk:
eintreten zu lassen.«
    Madame Guéraud musste Folge leisten. Die kleine Eden kam und drückte sich verstört an sie.
    »Ist das die Tochter?«, fragte der Polizist. »Und sie? Ist sie da?«
    Er deutete auf die geschlossene Tür. Madame Guéraud weigerte sich zu antworten. Der Polizist klopfte an die Tür und ging hinein. Madame Guéraud hörte, wie er erklärte: »Madame Baoulé, ich möchte Sie bitten, sich anzuziehen und mit mir zu komm…«
    Ein Entsetzensschrei unterbrach ihn. Es folgte eine schreckliche Szene. Francette Baoulé sprang aus dem Bett, rannte halbnackt durch das Zimmer und schrie: »Chétché, chétché!«
    Sie war noch halb verschlafen, und in ihrer Verwirrung sah sie in den beiden Männern Vergewaltiger und schrie mit ihrem ganzen Körper »Nein«.
    »Die ist völlig hysterisch«, rief der Polizist verdutzt.
    »Wir werden sie überwältigen müssen«, sagte der andere und zog Handschellen hervor.
    Sie trieben sie in einer Zimmerecke in die Enge. Aber sie wehrte sich, schlug um sich, versuchte, die Polizisten zu beißen, fing sich eine Ohrfeige ein und brach dann schluchzend zusammen. Und wurde schließlich ohnmächtig. Madame Guéraud hatte Eden mit sich genommen, um sie in ihrem kleinen Bett in Sicherheit zu bringen, aber das Kind schluchzte, dass es fast keine Luft mehr bekam. Als Madame Guéraud ins Zimmer zurückkehrte, sah sie, wie die beiden Polizisten Madame Baoulé, die gerade aus ihrer Ohnmacht erwacht war, ungeschickt etwas anzogen.
    »Das ist ungeheuerlich«, sagte sie. »Diese Frau … Ihr Mann ist ermordet worden. Sie traumatisieren sie.«
    Einer der beiden Männer versuchte, sich zu rechtfertigen: »Wir haben nur einen Haftbefehl, Madame. Wir wissen nicht, was ihr vorgeworfen wird.«
    »Wo bringen Sie sie hin?«, erkundigte sich Madame Guéraud.
    »Auf die Polizeistation von Saint-Jean-de-Cléry.«
    Er wollte etwas Beruhigendes sagen: »Das ist nicht wie im Gefängnis. Sie können sie besuchen, so oft Sie wollen.«
    »In den Zellen gibt es sogar Fernseher«, fügte der andere hinzu. »Die können sich da nicht beklagen.«
    Madame Guéraud kniete vor Francette und redete lange und leise mit ihr. Sie erklärte ihr, dass sie Nathalie benachrichtigen werde, dass man sie da rausholen würde. Dass die beiden Männer ihr nichts antun würden. Es seien Polizisten. Es gelang ihr, Francette so weit zu bekommen, dass sie sich vollständig ankleidete und ein paar Sachen in eine Tasche packte.
    »Mein Baby«, sagte Madame Baoulé plötzlich und sah sich um.
    »Sie werden sich von ihm verabschieden können«, versprach Madame Guéraud.
    »Mein Baby!«, brüllte Francette und sprang zur Tür.
    Die Polizisten mussten sie erneut überwältigen. Aber sie bekam einen Nervenzusammenbruch, rollte sich am Boden und brüllte: »Eden, Eden!«
    »Holen Sie ihr Kind«, befahl einer der Polizisten Madame Guéraud.
    Als Eden zu ihrer Mutter kam und diese ihr die Arme hinstreckte, warf sie sich hinein. In der Gefahr wusste sie genau, wer wirklich Mimami war.
    »Wir müssen los«, sagte der Polizist.
    Seit Madame Guéraud Eden an sich drückte, schien sie wieder ein wenig zur Ruhe gekommen zu sein. Madame Guéraud wollte ihr das Kind wieder abnehmen, wurde aber heftig zurückgestoßen.
    »Wir nehmen es mit«, schloss der Polizist.
    Und Madame Guéraud sah erschüttert durchs Fenster, wie Francette mit Eden in den Polizeiwagen stieg. Sie hatte gerade noch Zeit, Nathalie anzurufen, bevor einer der Polizisten wieder zu ihr hinaufkam und sie aufforderte, ihm bitte zu folgen. Sie und ihr Mann wurden beschuldigt, »einer Person in regelwidriger Situation Aufenthaltshilfe geleistet« zu haben. Ihre Wohnung wurde durchsucht und sie selbst in das Kommissariat ihres Viertels gebracht, um dort vernommen zu werden.
     
    Francette Baoulé wurde in die Abschiebehaftanstalt von Saint-Jean-de-Cléry gebracht. Wobei es keine Abschiebehaftanstalt im eigentlichen Sinn war, sondern ein Kommissariat, das über mehr Platz verfügte als die Polizeistellen der Innenstadt und in dem manche Zellen dazu genutzt wurden, illegale Einwanderer für ein paar Tage oder ein paar Wochen unterzubringen, wenn es Komplikationen gab.
    Als Madame Baoulé den Eingang des Kommissariats betrat, hatte sie nichts mehr von der Tigerin, die bei den Guérauds um sich geschlagen hatte. Sie war stumm, ängstlich und hielt ihre kleine Tochter in den Armen, was für Eden ungewohnt war. Normalerweise hätte ihre Mutter sie am Rücken getragen, und die Gehbewegung

Weitere Kostenlose Bücher