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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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mein Beruf«, erwiderte Monsieur de Saint-André.
    Er erhob sich: »Zwei Dinge überraschen mich bei dem Fall. In dem Brief des Flüchtlingsamtes wird behauptet, die Baoulé-Akte enthalte keine Beweismittel. Das ist nicht richtig, es gibt Beweismittel. Man kann einwenden, sie seien nicht überzeugend, aber man kann nicht sagen, sie existierten nicht. Zum anderen scheint die Präfektur ein Wettrennen begonnen zu haben, um diese Leute so schnell wie möglich auszuweisen. Sie hat euch nicht die nötige Zeit gelassen, um Einspruch vor dem Verwaltungsgericht einzulegen. Das ist anfechtbar.«
    Monsieur de Saint-André ging mit großen Gesten im Zimmer auf und ab. Er sah sich schon beim Plädoyer. Er blieb am Fuß des Bettes stehen: »Der Haken an der Sache sind die Kinder, weißt du. Sie dürften nicht da sein.«
    »Sie können nicht ausgewiesen werden, auch das ist das Gesetz«, erinnerte ihn Eloi.
    »Ja, aber sie werden die Entscheidung gegen die Eltern beeinflussen. Dreizehn Kinder, bald fünfzehn! Um die sich der französische Staat kümmern muss.«
    »Nein, um die sich französische Staatsbürger kümmern werden.«
    »Das wird man beweisen müssen.«
    Eloi dachte sich, das könne ein Job für die AWG sein.
    »Aber Papa, du hast doch Beziehungen, du hast Geld …«
    »Ach? Mein Geld könnte also … nützlich sein?«
    Vater und Sohn sahen sich an, noch waren sie nicht verbündet.
    »Nichts ohne Gegenleistung«, murmelte Monsieur de Saint-André. »Ich helfe den Baoulés, und du wirst mir etwas versprechen …«
    Eloi wurde misstrauisch. Er wollte nicht vereinnahmt werden. Wieder in die alte Rolle schlüpfen, nach Hause zurückkehren, das Erbe und den Namen akzeptieren.
    »Was?«, fragte er bösartig.
    »Eine einzige Sache. Du wirst deine Ausbildung wieder aufnehmen.«
    Schweigen. Dann schob Eloi die Hand unter das Kopfkissen und zog den Würfel hervor.
    »Wirf ihn. Eins ist ja. Sechs ist nein.«
    »Willst du dich über mich lustig machen?«
    Keine Antwort. Monsieur de Saint-André schüttelte missbilligend den Kopf, aber aus Neugier warf er den Würfel auf die Decke. Eins.
    »Eins«, sagte er mit leichtem Zögern.
    Er hatte nicht einmal geschummelt.
    »Ich werde Rechtswissenschaften studieren«, sagte Eloi ruhig. »Um denen Rechte zu geben, die keine haben.«
    »Nützlich«, murmelte Monsieur de Saint-André.
    Sein Sohn gefiel ihm.
     
    An diesem Abend bekam Madame Baoulé in der Haft Besuch von ihrem Rechtsvertreter, Rechtsanwalt de Saint-André. Dann traf Besucher auf Besucher im Kommissariat ein. Die Guérauds, die wieder freigelassen worden waren, brachten Spielzeug, Bilderbücher, Kleidung, und Nathalie brachte mittags und abends warmes Essen. Cécile konnte durchsetzen, dass Madame Baoulé ihre drei anderen Kinder in einer Ecke des Flurs neben der Kaffeemaschine sprechen konnte. Dann kam Monsieur Montoriol ins Kommissariat und schließlich Melanie Muller und Doktor Moulière. Die Polizisten machte das rasend, aber der eine erkannte seinen Zahnarzt, der andere die Lehrerin seiner Kinder, und sie ließen sie gewähren. Der kleine Fernseher quasselte weiterhin wie ein Dorftrottel in seiner Ecke vor sich hin, und Madame Baoulé hatte kaum Zeit, zuzusehen. Sobald sie mit Eden allein war und diese schlief, tippte sie auf ihrem Handy und schwatzte mit ihrer Schwägerin.
    Inmitten der Besucher war auch ein schwarzer Journalist, der vorgab, er sei der Onkel von Eden, und der die Kleine fotografierte, wie sie mit tränenverschmiertem Gesicht die Hände an die Gitterstäbe hielt. Die Fotos verursachten einen Skandal, als sie groß auf der Titelseite der Zeitung
La République du Centre
erschienen.
    Aber die Zerstörungsmaschinerie setzte ihr Werk fort. Bedroht von einem Ausweisungsbescheid hatten die Eltern Baoulé in dem Zimmer Zuflucht gesucht, das Eloi aufgegeben hatte, und verließen es nicht mehr. Am Freitag, den 7 . Februar, brachen Polizisten am frühen Morgen die Türen in der Rue Jean-Jaurès auf, verhafteten Monsieur und Madame Baoulé und schnappten sich Nathalie.
     
    »Alle Achtung, das ist ja effizient!«, sagte Louvier anerkennend und mit übertrieben bewundernder Miene.
    Um die letzte Verhaftung zu feiern, hatte er die Dame der Präfektur zu sich eingeladen. Champagner und Kerzenschein.
    »Und warum setzt ihr sie nicht sofort in ein Charterflugzeug Richtung Bamako?«
    »Weil Bamako in Mali liegt«, entgegnete die Dame verkniffen. »Außerdem muss man alle Kinder ausfindig machen. Die haben sie

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