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Ein Ort wie dieser

Ein Ort wie dieser

Titel: Ein Ort wie dieser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie-Aude Murail
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verteilt.«
    »Die gehen doch zur Schule, oder? Da schnappen die Bullen sie eben bei Schulschluss.«
    »Das muss unauffällig geschehen.«
    »Das ist doch scheißegal. Wir sind doch im Recht.«
    »Nein, wir sind nicht im Recht!«
    Louvier zuckte zusammen, denn die Dame hatte geschrien. Mit besorgtem Flüstern fügte sie hinzu: »Es gibt da einen Anwalt, der beim Flüchtlingsamt beantragt hat, die Baoulé-Akte einzusehen. Wenn er sie bekommt, wird er merken, dass sie gesäubert wurde.«
    »Man braucht doch nur zu sagen, dass nie etwas drin war. Dann steht das Wort der Baoulés gegen …«
    Er wollte sagen
unseres
, biss sich auf die Zunge und schloss: »… deines. Noch etwas Champagner, Liebling?«
    »Ich habe Kopfschmerzen.«
    Sie entdeckte die Angst, die Angst, entdeckt zu werden. Also … Ja, vielleicht sollte man die Polizei ans Schultor schicken …
    An diesem Abend trieb Louvier die Galanterie so weit, dass er die Dame von der Präfektur zu ihrer Wohnung zurückfuhr, aber als er sie losgeworden war, stieß er einen erleichterten Seufzer aus. Wieder zu Hause, zog er einen dicken Packpapierumschlag, den er kürzlich erhalten hatte, aus seiner Aktentasche. Er nahm den Inhalt heraus und sah sich drei am Computer erstellte Zeichnungen an. Auf ihnen war zu sehen, wie die derzeitige Louis-Guilloux-Grundschule sich in mehreren Etappen in einen Tchip Burger mit großen Glasfronten verwandelte, mit Leucht-Firmenschild und rotgelben metallenen Fenstersprossen, aber immer noch eng eingerahmt von zwei bürgerlichen Wohnhäusern aus Quadersteinen. Der Architekt, den Louvier mit dem Projekt beauftragt hatte, hatte zwei Linden auf dem ehemaligen Schulhof erhalten, die nun einem hübschen Innenhof Schatten spendeten.
    »So ein Idiot«, brummte Louvier.
    Die Bäume mussten plattgemacht werden, dann sollten Plastikpflanzen aufgestellt und auf dem Boden eine elastische Beschichtung angebracht werden, damit die Kinder sich nicht weh taten, wenn sie vom Klettergerüst oder von der Rutsche sprangen, kurz, aus dem romantischen Innenhof sollte ein Spielplatz für 2 - 7 -Jährige werden. Abgesehen von diesem kleinen Mangel schmeichelten das gewaltige Ladenschild des Tchip Burgers und seine auffällige Schaufensterfront dem Größenwahn von Louvier. Er würde sich die Eier vergolden.
    Am nächsten Tag schob Louvier bestens gelaunt die Zeichnungen in den Umschlag und ging zu einem Treffen mit dem Architekten. Er hatte ihn zum Essen in den Tchip Burger am Place Anatole-Bailly eingeladen.
    »Ich habe die kleinen Umgestaltungen eingearbeitet, um die Sie mich gebeten hatten«, sagte ihm der Architekt gleich, als er ihm die Hand gab. »Tatsächlich ist das sehr viel besser. Es ist … moderner.«
    Er wäre bereit, die Wände mit Mist zu bestreichen, falls der Kunde das wünschte. Sie setzten sich hinten in das Schnellrestaurant und breiteten die neuen Änderungen an ihrem Projekt auf dem Tisch aus. Im Mittelpunkt eines Lichtbrunnens sollte eine große bunte Plastikstatue von Tchip, dem Freund der Kinder, stehen. Es war scheußlich.
    »Sehr gut.« Louvier war einverstanden. »Und das da, was ist das da, auf der Seite? Pflanzen?«
    Der Architekt runzelte die Stirn wie jemand, der seinen Augen nicht traut.
    »Pflan…? Ja … Das sieht so aus, als wären das …«
    »Ich will keine«, erklärte Louvier kategorisch. »Die sind blöd zu pflegen. Plastik. Überall Plastik.«
    »Klar«, bemerkte der Architekt zustimmend.
    Er packte die neuen Zeichnungen in eine luxuriöse Mappe, als Xavier gerade zwei Tabletts mit Chicken Nuggets und Bacon Burgern vor seinem Chef abstellte.
    »Sie haben doch nichts gegen Burger?«, fragte Louvier argwöhnisch.
    »Ich liebe Burger!«, antwortete der Architekt erfreut.
    Um Platz zu machen, legte er den Packpapierumschlag mit den alten Zeichnungen, die nicht mehr gebraucht wurden, auf den Boden. Nach dem Essen, das in zehn Minuten erledigt war, trennten sich die beiden Männer, ohne sich die Hand zu geben. Nicht, weil sie sich gestritten hätten, sondern, weil sie wie die Ferkel gegessen hatten. Und der Packpapierumschlag blieb liegen, wo er war.
     
    Der Gott des Zufalls, der – wie Eloi glaubte – unsere Geschicke lenkt, beschloss an diesem Tag, dass Omchen Toussaint und Démor zum ersten Mal in ihrem Leben in ein Schnellrestaurant ausführen würde.
    »Ihr wart wirklich noch nie im Tchip Burger?«, fragte die alte Frau verwundert.
    »Nein, aber wir haben den im Fernsehen gesehen«, antwortete Démor, der

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