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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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vielleicht trotzdem noch vor ihm zur Uni.
    Um halb neun, auf dem Höhepunkt der Rush-hour, zwängte sie sich zwischen die anderen Arbeitssklaven, die glücklich einen Sitzplatz ergattert hatten. Wer stehen mußte, drückte sich, schon jetzt gereizt und gestreßt durch die Viehwagenatmosphäre, flach an die Wand. Ärger wollten sie alle nicht, alle aber waren sie, wie es sich für anständige New Yorker gehört, gerüstet für die Konfrontation, die nach einem Schubs, einem kräftigen Tritt auf die Zehen oder einem Stoß mit der Aktentasche in Rücken oder Bauch unvermeidlich war.
    Als sie an der 177th Street ausstieg, verdichtete sich der vage morgendliche Ammoniakgeruch zu deutlich wahrnehmbarem Uringestank. An der Hauswand stand ein Mann und pinkelte. Es war ein gewohnter Anblick, längst hatte sie vergessen, daß es offiziell verboten war, Backsteinfassaden zu Bedürfnisanstalten umzufunktionieren. Sie stieg die Treppe hinauf ans Licht. Frische Luft und der Geruch nach Kaffee und frischen Brezeln von einem Straßenstand kamen ihr entgegen.
    Auf dem abfallenden Gehsteig kam hinkend ein Mann auf sie zu, der offenbar mit Erfolg die höhere Bettlerschule der Stadt New York absolviert hatte. In der Hand hielt er den unvermeidlichen Einmalbecher, der eine Fuß war überzeugend nach außen gedreht. Ein armer Behinderter. Vor Mallorys Blick prallte er zurück wie vor einer Wand und machte sich auf zwei gesunden Füßen schleunigst davon. Durch das vertraute Tor betrat sie den Campus, stellte sich in einen Hauseingang und behielt die Straße im Auge. Das Taxi setzte Gaynor jeden Morgen an der gleichen Stelle ab, und zwar nie vor neun. Nach Markowitz’ Taschenuhr waren es bis dahin noch zehn Minuten. Die Uhr hatte er immer bei sich gehabt, aber nie benutzen können, weil sie nicht ging, und zehn Jahre lang hatten er und Helen regelmäßig nach dem Essen bei Kaffee und einem Stück Kuchen darüber gesprochen, daß man sie doch unbedingt mal richten lassen müsse. Das hatte nun Mallory nachträglich für sie erledigt. Sobald man ihr Markowitz’ persönliche Habe ausgehändigt hatte, war sie zum Uhrmacher gegangen. Jetzt stand in dem goldenen Deckel unter den Namen von Markowitz’ Großvater, dessen Vater und seinem eigenen noch ein weiterer: Mallory.
    Sie sah zu der Glaswand der Mensa hinüber. Verschlafene Studenten schütteten sich grimmig mit Kaffee zu, andere hatten sich mit ihren Tabletts an den Kassen angestellt. In den nächsten zehn Minuten beobachtete sie mehrere dabei, wie sie seelenruhig mit ihrem Essen davongingen, ohne zu zahlen. Die Studenten, die in der Mensa an der Kasse saßen, haßten ihren Job und hätten ihre Kommilitonen widerspruchslos auch mit den Tischen und Stühlen abziehen lassen. Eine ganz miese Form des Diebstahls, dachte Mallory verächtlich.
    Wieder sah sie auf die Uhr. Gaynor hatte sich verspätet. Sie zog ihr Notizbuch aus der Jackentasche und vermerkte gewissenhaft die Abweichung von seinem normalen Tagesablauf.
    Aber er hatte sich gar nicht verspätet. Er war zu früh dran. In diesem Moment kam er aus der Mensa, in der Hand einen Becher mit Deckel und eine braune Papiertüte, in der nach ihren Aufzeichnungen meist ein Schokoladen-Doughnut, eine Serviette und drei Tütchen Zucker für seinen Milchkaffee waren.
    Sie folgte ihm zu seinem Büro und vertiefte sich ein paar Türen weiter in die Anschläge am Schwarzen Brett, während er hinter geschlossener Tür frühstückte. Genau zwanzig Minuten später kam er heraus, schloß ab und hängte sich die Büchertasche über die Schulter. In diskretem Abstand ging sie ihm zu seiner ersten Veranstaltung nach.
    Seine Beine hätten sich offenbar am liebsten in entgegengesetzte Richtungen aufgemacht, die Ellbogen waren in rechtem Winkel abgespreizt, die Gliedmaßen bewegten sich nur unter Zwang im Gleichklang mit seinem Körper. Daß er über mindestens einen Pflasterstein und eine Marmorstufe stolpern würde, ehe er den Hörsaal betrat, war schon jetzt sicher.
    Einzeln und zu zweit kamen die Studenten herein. Während sie geräuschvoll ihre Plätze einnahmen, mit Papier raschelten, Bücher auf die Pulte knallten, gähnten und husteten, ordnete Gaynor sein Skript. Dann wünschte er ihnen lächelnd einen guten Morgen, und es wurde totenstill.
    Mallory setzte sich wie immer ganz nach hinten, wo sie unter den hundert jungen Gesichtern nicht weiter auffiel. Mit aufgeschlagenem Notizbuch und gezücktem Kugelschreiber spielte sie die vertraute Rolle, die

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