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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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ist, als hätte ich vorhin Professor Gaynor kommen sehen …«
    »Stimmt, vor ein paar Minuten.«
    »Was macht der denn hier?« Eine rhetorische Frage. Sein Name stand auf dem Programm, das an der Korkwand in ihrem Arbeitszimmer hing.
    »Fiffi hat ihn für die Rolle des Ansagers gekapert.«
    Mallory stellte den Karton mit den Programmen neben sich auf die Bank und sah zu der Doppeltür an der gegenüberliegenden Wand hinüber. Von früher wußte sie, daß dahinter eine Treppe zu den Rängen führte. Tagsüber hatte sie Gaynor bisher nie länger als zehn Minuten aus den Augen verloren. Wie viele Ausgänge mochte das Gebäude haben?
    Fiffi kam sichtlich sauer ins Foyer zurück. Die qualmende Zigarette bot ihr einen willkommenen Anlaß zum Dampfablassen.
    »Du machst sofort das Ding da aus!«
    Dann wandte sie sich an Mallory, die langsam und sorgfältig das erste Programm in der Mitte zusammenfaltete, und hielt ihr eine Rolle roter Eintrittskarten unter die Nase. »Hier, die müssen auch noch nummeriert werden.«
    Mallory, die nicht die geringste Lust zum Nummerieren von Eintrittskarten hatte, blickte betont über die rote Rolle hinweg. Fiffi machte den Mund auf, aber in diesem Augenblick sah Mallory mit zusammengekniffenen Augen zu ihr hoch, und Fiffi machte den Mund schleunigst wieder zu und setzte sich ans andere Ende der Bank, um selber mit dem Nummerieren anzufangen.
    Mallory sah wieder auf die Taschenuhr. Zehn Minuten reichten kaum aus, um eine alte Frau umzubringen – immer angenommen, Gaynor war pünktlich zu Beginn der Generalprobe wieder da. Ganz geheuer war ihr die Sache trotzdem nicht.
    Babyface griff nach der Kartenrolle. »Komm, ich mach das.«
    Während Fiffi den Zuschauerraum betrat, zündete er die inzwischen ziemlich mitgenommene Zigarette wieder an. Mallory stand auf und ging rasch auf die Doppeltür zu. Der Junge machte ein dummes Gesicht, als er aufsah und feststellte, daß sie plötzlich wie in der Versenkung verschwunden war.
    In großen Sätzen, mit ihren langen Beinen immer drei Stufen auf einmal nehmend, rannte sie die Treppe hinauf. Hier war sie bisher nur einmal gewesen. Sie erinnerte sich, daß man sich ohne Taschenlampe schwer zurechtfand. Die Treppe schraubte sich in Windungen zwei Stockwerke hoch, dann ging es über einen kleinen Gang und fünf Stufen in tiefer Finsternis wieder hinunter zum zweiten Rang. Sie setzte sich in der schützenden Dunkelheit zurecht, während Fiffi von der Bühne aus Kommandos für die Beleuchtung gab. In der ersten Reihe steckten zwei junge Frauen die Köpfe über einem Klemmbrett zusammen. Sie steckten, wie am Barnard College üblich, in Jeans und Cowboystiefeln, während die Rothaarige auf der linken Bühnenseite ein für Barnard sehr untypisches wadenlanges Kleid und Schuhe mit Pfennigabsätzen anhatte. Ein junger Mann mit pomadisiertem Haar und einem Anzug aus den vierziger Jahren saß am Bühnenrand und ließ die Füße baumeln, die stilwidrig in Joggingschuhen steckten. Fiffi stand breitbeinig da, die Hände in die Hüften gestemmt, und rief ihre Kommandos. Gehorsam wanderte der Scheinwerfer auf der Bühne hin und her, bis er bei Position zweiundzwanzig den Geist aufgab und es im Zuschauerraum dunkel wurde.
     
    Samantha Siddon sah auf ihre Armbanduhr und faßte den Stock mit dem silbernen Löwenkopf fester. Sie wußte, daß jemand hinter ihr war, noch ehe sie die Schritte hörte. Den ganzen Tag schon spürte sie dieses Unsichtbar-Bedrohliche um sich. Jetzt war es unabwendbar und ganz nah. Es war der Tod.
    Nur langsam und unter Schmerzen gelang es ihr, sich umzudrehen. Noch länger dauerte es, bis sie durch die dicken Brillengläser ihr Gegenüber erkannt hatte. Ratlosigkeit trübte den Blick der matten braunen Augen.
    »Sie?« sagte sie. »Sonderbar. Sehr sonderbar.« Wie gebannt sah sie auf das Messer. Sollte sie um Hilfe rufen? Sie konnte sich nicht recht dazu aufraffen. Müde hob sie den Stock, um den ersten Stich abzuwehren, und ihr blieb noch Zeit zu begreifen, daß dies nur ein Reflex ihres Körpers war, während der Geist, der in diesem Körper wohnte, auf eine Fortsetzung seines Erdendaseins nicht sonderlich erpicht war.
     
    Fiffi betrat die Bühne und warf das Krisselhaar zurück, aber der erhoffte dramatische Effekt blieb aus. Die Mähne fiel schlapp zur Seite.
    »Wo ist der Beleuchter?« rief sie in den schwarzen Zuschauerraum hinein. Sie legte eine Hand über die Augen und sah über Mallorys Kopf hinweg zum zweiten Rang hoch. »Die Zeit

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