Ein Ort zum sterben
sie eines Tages geheimnisvoll lächelnd in seinem Büro erschien, einen Stapel bedrucktes Computerpapier auf den Tisch packte und sich still wieder davonmachte. Nachdem Helen ihren kleinen Engel abgeholt hatte, saß Louis noch lange am Schreibtisch und arbeitete sich durch die Personalakten, die seine diebische Tochter dem Computer entlockt hatte. Nie hätte er geglaubt, daß seine Kollegen so viel Dreck am Stecken hatten.
Ein Geschenk.
Das war Kathys längste Lektion gewesen.
Die Pokerrunde war zu einer Zwitterversion von Five-card Draw mutiert mit wilden Zweiern, wenn man eine Königin hatte, und wilden Buben, wenn man eine Zehn hatte. Und Charles wußte nun, daß Slope nicht nur ein ungewöhnlich versierter Gerichtsmediziner war, sondern auch Rauchkringel blasen konnte.
Slope reckte einen Finger hoch und ließ sich eine Karte geben, um die anderen davon zu überzeugen, daß er vier gleiche hatte. Was nicht der Fall war. »Monatelang hat die Kleine sich vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, warum Louis sich mit diesem Hintergrundwissen nicht die Stelle als Kripochef geangelt und obendrein einen schönen Batzen Geld kassiert hat.«
»Und wahrscheinlich«, ergänzte Duffy, »hat sie selbst noch eine Gewinnbeteiligung erwartet. Zwei Karten.«
»Was sich Kathy bei der ganzen Sache gedacht hat, werden wir wohl nie erfahren«, sagte Slope. »Louis meinte, er hätte wohl erst mal bei ihr verspielt, weil er bei dieser Riesenchance nicht mit beiden Händen zugegriffen hat.«
»Danke, keine Karte mehr«, sagte Duffy. »Lausige Hand.«
»Ich passe.« Der Rabbi legte die Karten hin. »Als sie zwanzig war und Louis eröffnete, daß sie das Studium hinwerfen und auf die Polizeiakademie gehen würde, hätte ihn fast der Schlag getroffen.«
»Lizenz zum Klauen und eine Kanone.« Aus Duffys Hand klimperte ein Dime in den Pott. Er sah auf und ließ seine Augenbrauen tanzen. »Wenn ihr meine Hand seht, Freunde, kommen euch die Tränen.«
Slope steuerte zwei Dimes bei, die anderen ebenfalls, und er fächerte einen Buben als wilde Karte und drei Zehner auf und grinste Duffy durchtrieben an. »Louis mußte mächtig seine Beziehungen spielen lassen, damit er sie in der Sonderkommission behalten konnte, sonst hätte ganz New York vor Kathy zittern müssen.«
Rabbi Kaplan hob die Hände. »Schluß jetzt, Edward. Charles denkt sonst noch, daß er ein Monster geerbt hat.«
»Hat er auch.« Duffy legte seine wilde Karte und drei Königinnen auf den Tisch und reckte sich, um mit seinen kurzen Armen an die Nickel und Dimes im Pott heranzukommen.
»Ihr waren, als Louis und Helen sie von der Straße holten, noch nicht alle menschlichen Gefühle abhanden gekommen«, sagte Slope. »Aber ein gesellschaftlich angepaßtes, durch und durch zivilisiertes Wesen wird sie nie werden, dazu war es einfach zu spät.«
»Die Beziehung zu Helen hat sofort hingehauen.« Rabbi Kaplan gab zur nächsten Runde. »Aber Louis hat sich sehr schwer damit getan, ihr Vertrauen zu gewinnen. Ein ganzes Jahr hat sie ihn mit ›Hey Cop‹ angeredet. Als sie dann ›Hey, Markowitz‹ zu ihm sagte, war das schon ein Fortschritt.«
»Aber sie liebte Louis«, sagte Slope. »Andere Jugendliche verkraften die Zeit auf der Straße nie. Wenn du denen in die Augen siehst, ist da alles ausgebrannt und tot. Serienmörder haben solche Augen. Kathys Emotionen sind noch sehr lebendig, aber geschädigt ist sie, das darf man nie vergessen.«
Charles ordnete seine Karten neu, und seine drei Mitspieler wußten sofort, daß er zwei Paare hatte. Er lächelte in die Runde. »Ihr meint also, der Unsichtbare könnte jemand sein, der in der Jugend seelischen Schaden genommen hat?«
Slope forderte mit zwei hochgereckten Fingern weitere Karten an. »Manche Leute kommen schon als Verbrecher zur Welt, hat Louis immer gesagt. Ich schätze, daß unser Killer ein ganz gewöhnlicher Soziopath ist, die gibt es so häufig, daß man sie nicht als seelisch gestört bezeichnen kann.«
»Louis bevorzugte Geldmotive.« Duffy winkte ab, er wollte keine Karte mehr. »Die Sonderkommission wurde ursprünglich eingerichtet, um besonders brutale, bizarre Straftaten und solche von offenkundig geisteskranken Verbrechern zu klären. Dann aber stellte sich heraus, daß ein großer Teil der Täter ihre Verbrechen aus Habgier und wegen des Kitzels begingen.«
»Wie meinst du das?«
»Soziopathen brauchen stärkere Stimulanzien als normale Menschen, und ein Mord, stelle ich mir vor, kann durchaus
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