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Ein Ort zum sterben

Ein Ort zum sterben

Titel: Ein Ort zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol O'Connell
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stimulierend sein. Ich setze einen Nickel. Und das Moralempfinden des Soziopathen bewegt sich gegen Null.«
    Drei Runden später – Charles riß gerade seine letzte Rolle Dimes an – meinte der Rabbi, Kathys Verhalten sei zwar nicht besonders moralisch, aber durchaus berechenbar. »Ihre Moralvorstellungen sind weitgehend durch Helens Charakter geprägt.«
    Rabbi Kaplan sah über sein hundsmiserables Blatt hinweg Charles an und lächelte. Er lächelte wie ein Sieger.
    Charles betrachtete seine Hand. Sie war sehr viel besser als die von Kaplan, ja sie war so gut, daß die anderen ihm das an der Nasenspitze ansahen. Sie legten die Karten auf den Tisch.
    »Bekanntlich ist sie fest entschlossen, Louis’ Mörder zu fangen«, sagte Kaplan.
    »Wußte Markowitz, wer es war?«
    »Fragt mich was Leichteres«, sagte Slope. »Louis wußte sehr viel über den Mörder, aber es waren mehr so allgemeine Sachen. Ich kann nur soviel sagen, daß der Täter verdammt clever sein muß. Benutzt jedes Mal ein anderes Messer.«
    Niemand war überrascht, als Charles seine Traumhand aufdeckte. »Wie war das eigentlich mit dem Wagen, in dem die zweite Tote, diese Estelle Gaynor, gefunden wurde? Wenn der Mörder das Schloß aufbrechen mußte, läßt das doch auf gewisse Fachkenntnisse schließen.«
    »Nicht schlecht gedacht, Charles.« Duffy sah betrübt die Dimes und Nickels an sich vorbei zu Charles wandern. »In New York steht in jedem Block mindestens ein nicht abgeschlossenes Auto. Der Besitzer nahm den Wagen nur, wenn er seine Frau im Krankenhaus besuchte, und weiß nicht mehr, ob er ihn abgeschlossen hatte. In so einem Viertel kann man sehr schnell leichtsinnig werden. Tagsüber ist am Gramercy Square noch nie ein Auto geklaut worden.«
    »Ein Mord am hellichten Tag dürfte doch etwas heikler sein als Autoklau. Du meinst also, daß der Mörder auch dort wohnt und deshalb nicht besonders auffiel?«
    »Am Gramercy Square herrscht kein Mangel an Verdächtigen«, sagte Duffy. »Die Frauen haben große Vermögen hinterlassen. Aber es gibt keinen Hinweis darauf, daß die Erben etwas mit den Verbrechen zu tun hatten. Jedenfalls nichts, was sich vor Gericht verwerten ließe. Wenn die Erben ein Alibi auch nur für einen Mord haben, muß die Täterschaft in den anderen Fällen zumindest angezweifelt werden, selbst wenn es Indizienbeweise gäbe.«
    »Clever«, sagte Rabbi Kaplan. »Louis hat immer gesagt, so einen Verbrecher könne man nur überführen, wenn man ihn auf frischer Tat ertappt.«
    »Könnten es zwei gewesen sein?«
    »Denkbar wäre es natürlich«, sagte Slope. »Aber Louis sah es nicht so, er hat immer nur von einem gesprochen. Einem Mann. Einem Freak. Einem Es.«
    Die nächste Runde begann, und Charles gab dem Rabbi die letzte Karte. »Kathleens Verhalten ist, wie du sagst, mehr oder weniger berechenbar?«
    »Wenn du mehr über Helen wüßtest, wüßtest du mehr über Kathy.«
    »Ich halte mich an das, was ich habe.« Duffy ließ sich keine Karten mehr geben. »Als Kathy klein war, hat sie geklaut, um Helen etwas Schönes schenken zu können. Weil sie Helen so lieb hatte, konnte sie gar nicht genug für sie klauen.«
    »Zwei bitte«, sagte Slope. »Es war wohl ihre Art, sich für Helens Liebe zu revanchieren.«
    »Und Kathys Geschenke haben Helen unweigerlich zum Weinen gebracht. Eine bitte.«
    »Was Kathy partout nicht begreifen konnte. Warum weinte Helen, wenn das Zeugs doch nichts gekostet hatte? Kathy war ein liebes Kind … auf ihre Art. Aber sie hatte nicht immer den vollen Durchblick. Bis sie eine Regel für sich aufstellte, mit der sie gut zurechtkam: Sie würde nie etwas tun, worüber Helen weinen mußte, selbst wenn sie nicht begriff, wieso Helen weinte. Danach hat sie nie wieder was geklaut.«
    »Karten, Rabbi?«
    »Aber von manchen Sachen verstand Helen nun mal nichts, und damit bot sich Kathy ein moralisches Hintertürchen. Computer beispielsweise waren für Helen ein Buch mit sieben Siegeln, und deshalb war fast alles, was man mit einem Computer anstellen konnte, aus Kathys Sicht völlig in Ordnung.«
    »Und auf die Idee, daß Kathy töten könnte, ist Helen nicht gekommen«, ergänzte Slope. »Deshalb hat sie es ihr nie verboten.«

 
     
    Wild an Knöpfen fummelnd und an Reißverschlüssen zerrend stürmte Mallory auf die Straße und warf sich fluchend die Büchertasche über die Schulter. Ausgerechnet heute hatte sie den Wecker nicht gehört. Gaynor war schon weg. Wenn sie die U-Bahn nahm, schaffte sie es

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