Ein paar Tage Licht
die Fotos aus der Schachtel, suchte, legte eines auf den Tisch. Dihia, mit einer Maschinenpistole posierend, die dunklen Haare zu einem Zopf gebunden, der ihr über die Schulter hing, heller Pullover, langer dunkler Rock. Benmedi hatte das Foto gemacht, Spätsommer 1956. Außerhalb des Kamerasuchers hatten, ebenfalls mit MP s in den Händen, Zohra Drif und die anderen Frauen gestanden, die wenig später Bomben in der »Milk Bar« und an zwei anderen Orten in Algier platziert hatten.
»Wie schön sie war«, sagte Djamel.
Und verzweifelt und grausam, dachte Benmedi. Wie er selbst. »Hast du eine Freundin? Eine Frau?«
»Keine Frau.«
»Eine Freundin?«
Djamel wog den Kopf hin und her. »Eine Begleiterin.«
»Oh«, sagte Benmedi, »was ist das?«
»Eine Frau, die nicht zu nah ist und nicht zu fern.«
»So … Hat sie einen Namen, deine Begleiterin?«
»Karima.«
»Und woher kennst du Karima?«
»Von der Universität.«
»Du sprichst nicht gern darüber?«
»Anderes ist wichtiger.« Djamel zeigte auf die Fotos.
»Aber das ist vergangen, Junge. Und es ist … Es war falsch, weißt du.«
»Falsch? Dass ihr für die Unabhängigkeit gekämpft habt? Wie kann das falsch gewesen sein?«
»Nicht dass wir gekämpft haben, aber wie wir gekämpft haben. Du weißt sicher, was wir getan haben. Wir haben Frauen und Kinder getötet. Wir haben gefoltert. Unbewaffnete hingerichtet. Wir sind nachts aus unseren Löchern gekrochen und hinterrücks über die Franzosen und die Kollaborateure und die Juden hergefallen wie berauschte, gottlose Teufel.«
»Massus Fallschirmjäger haben es genauso gehalten.«
»Und nicht nur die«, sagte Benmedi mit einem Nicken. Er konzentrierte sich, um die passenden Wörter zu finden. »Trotzdem. Wenn man auf die falsche Weise für das Richtige kämpft, verliert man dann nicht den Anspruch, Teil des Richtigen zu sein? Ist man dann nicht Teil des Falschen?«
»Besatzer treten nicht ab, wenn man sie höflich dazu auffordert.«
Beschwichtigend berührte er Djamels Hand. »Es ist nur ein Gefühl. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Das müssen andere tun, die klüger sind. Du zum Beispiel.«
»Vater hat niemanden getötet.«
»Er hat ja auch nicht gekämpft.«
»Er hat mit seinen Worten und seinem Glauben gekämpft. Deshalb haben sie ihn geholt.«
Benmedi drückte Djamels Hand, lehnte sich zurück, blies Rauch in Richtung Fenster. Als Kämpfer hatte er seinen Sohn nie gesehen. Mouloud war ein gebildeter, sanfter, humorvoller Mann gewesen, ein großer Theoretiker der Liebe, der Freiheit und des Korans, ja – aber kein Kämpfer.
Er musterte Djamel. Der Großvater, der Vater Kämpfer gegen die herrschenden Systeme. So schien er es zu empfinden.
Und er selbst? Der Enkel?
Djamel legte ein weiteres Foto auf den Tisch.
»Ein Kamerad, Ali«, sagte Benmedi, »er ist später unter der Folter der Franzosen gestorben.«
Sein Blick fiel auf die Schachtel. Noch etwas lag darin – eine Brille mit silberfarbenem Gestell. Eines der Gläser hatte einen Sprung.
Moulouds Brille? Er fragte nicht.
Das nächste Foto. Ein Vogel.
Benmedi schloss die Augen.
Er hatte vergessen, dass sie den Vogel fotografiert hatte.
Die letzten Sekunden.
»Ein Vogel, der nicht gesungen hat«, flüsterte er.
59
ALGIER
Eley hatte eine Stunde geschlafen, etwas gegessen, schließlich mit dem Telefon, das Lyon Rigal besorgt hatte, in Berlin angerufen.
Ein schäumender Harry Landrich.
Mich wegzudrücken, du verdammter …
Brichst in ein Hotelzimmer ein, spinnst du?
Du bist gefeuert!
Er stand auf, holte sich eine von Katharina Prinz’ ausgetrockneten Zigaretten, ein Glas Wasser. »Harry«, sagte er, »die planen was in Deutschland.«
»Wer?«, knurrte Landrich.
»Die Gruppe, die Richter entführt hat.«
» AQM . Sprich es aus, Ralf. AQM . AQM hat Richter entführt. AQM plant was in Deutschland.«
Eley seufzte, wechselte das Telefon in die andere Hand, um den schmerzenden Rücken zu entlasten. Es erstaunte ihn, dass Harry Landrich und der Botschafter den Algeriern uneingeschränkt glaubten. Begierig griffen sie nach der einfachen, der gewohnten Antwort und versperrten sich der unbequemen, nur weil sie neue Fragen aufwerfen würde.
»Und wer soll dir das abkaufen?«
»Du, Harry.«
Landrich lachte zornig. Ein lautes Klatschen, eine Handfläche war auf beschichtetes Holz niedergegangen. »Und was plant AQM angeblich in Deutschland?«
Eley erzählte von seiner Vermutung. Meininger Rau spiele eine Rolle, die
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