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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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ihnen den Urlaub bezahlen. Muss ich Angst haben? Wollen die mich verprügeln?« Sie hielt Ebert das goldfarbene Projektil vor die Augen. »Oder erschießen? Wollen mich Ihre Komplizen umbringen? «
    Ebert starrte auf die Patrone.
    Sah auf.
    Erst kamen die Tränen. Und dann, endlich, das Geständnis.

58
    PESSIN
    Der Befreiungskrieg.
    Alles war wieder da, war zurückgekehrt aus dem Vergessen. Fünfzig Jahre hatten nicht gereicht, die Bilder auszulöschen. Die Geräusche. Die Gerüche. Den Gestank des Blutes.
    Dihias Blut im Wageninneren.
    Er hatte den Gedanken nicht ertragen, dass der Geruch Übelkeit in ihm auslöste, wenn er nur die Autotür öffnete. Das Blut seines Herzens. Also hatte er das Auto verbrannt.
    Benmedi schrak zusammen, als in seiner Erinnerung eines der Wagenfenster in den Flammen platzte.
    Alles wieder da. Mit Djamels Brief war die Vergangenheit zurückgekehrt. Mit Djamels Fragen.
    Er drückte die Zigarette im Aschenbecher aus, den er in der Hand hielt, und stellte ihn zu seinen Füßen vor die Bank. »Nicht gleich«, erwiderte er, den Blick auf die menschenleere Straße vor sich richtend. »Nicht schon 1954, sondern erst 1956. Im Frühjahr hat Mollet die Generalmobilmachung angeordnet … der neue sozialistische Ministerpräsident …«
    Djamel nickte. »Guy Mollet.«
    »Er hat immer gesagt, er will den Krieg beenden. Aber dann hat er noch mal zweihunderttausend Soldaten nach Algerien geschickt.«
    »Und du bist in den Untergrund gegangen.«
    »Ja. Mit vielen anderen.«
    Benmedi erhob sich und ging ins Bad, um das Gesicht in kühles Wasser zu tauchen. Für einen Moment in der Gegenwart sein.
    Er kehrte vors Haus zurück, ließ sich auf die Bank sinken, tauchte wieder ein in den Befreiungskrieg, in die Wissbegier des Jungen, der so vieles erfahren wollte, mit ernster Stimme eine Frage nach der anderen stellte – wie war der Alltag im Krieg, wo habt ihr euch versteckt, wie habt ihr die Anschläge geplant, wie hast du dich gefühlt, wenn du jemanden getötet hast, wie, wenn einer deiner Freunde getötet wurde, und Großmutter, seit wann war sie dabei, worüber habt ihr gesprochen, seid ihr jemals entdeckt worden, verhaftet worden …
    Und Benmedi antwortete. Öffnete sich dem kalten Strom der Erinnerungen, verbarg den Schmerz und antwortete.
    Später, als er sich ins Schlafzimmer zurückgezogen hatte, um sich vor dem Erntefest ein wenig auszuruhen, überkam ihn ein seltsames Gefühl. Ihm fiel ein Satz ein, den Pauline manchmal gesagt hatte, nach Begegnungen mit Stasi-Offizieren oder unangenehmen Vorgesetzten: Da war mir richtig mulmig zumute, Youcef.
    Benmedi war mulmig zumute.
    Nach fast zwanzig Jahren, in denen sie sich nicht gesehen hatten, kam sein algerischer Enkel zu Besuch und stellte Fragen nach dem Krieg. Nach dem Töten und Getötetwerden.
    Am Nachmittag saßen sie am Küchentisch, tranken Kaffee, als Djamel wortlos aufstand, in sein Zimmer hochging und mit einer kleinen, schmutzig weißen Schachtel zurückkam. Er legte sie vor Benmedi und setzte sich wieder. Sie war nicht beschriftet, die Kanten abgegriffen. Dunklere Stellen zeigten, dass sie oft berührt worden war. Briefe oder Fotos, dachte Benmedi unruhig. Vielleicht Zeitungsartikel. Etwas Größeres hätte nicht hineingepasst.
    Er wollte es nicht wissen. Hatte Angst vor noch mehr Schmerz. Vor noch mehr Fragen.
    »Fotos. Vater hat sie aufgehoben.«
    »Fotos«, wiederholte er.
    Mouloud hatte sie bei den Sachen gefunden, die er zurückgelassen hatte, als er in die DDR gegangen war. Er erinnerte sich. Kleidung, Waffen, ein paar Bücher. Ein paar Fotos.
    »Sie gehören dir. Ich schenke sie dir.« Vorsichtig schob er die Schachtel über den Küchentisch zu Djamel.
    »Erklär sie mir.«
    »Erklären?«
    Djamel hob den Deckel an, nahm das oberste Foto heraus und legte es vor ihn. Eine von Dihias Aufnahmen von ihm und den Teamkameraden. Erst vor zwei Tagen hatte er Robin ein anderes der vier, fünf Fotos gezeigt, die sie damals gemacht hatte.
    »Die FLN -Mannschaft«, sagte Djamel.
    Benmedi griff nach den Zigaretten, versuchte, das Zittern der Finger zu verbergen. »Die Unabhängigkeitself, ja.«
    »Wie lange hast du für sie gespielt?«
    »Drei Jahre, bis 1961. Einmal hätte ich beinahe ein Tor geschossen, beim 11   :   0 gegen Jordanien.«
    »Warum hast du aufgehört? Die Mannschaft wurde erst 1962 aufgelöst, nach der Unabhängigkeit.«
    »Im Mai 1961 starb deine Großmutter. Danach wollte ich nicht mehr Fußball spielen.«
    Djamel nahm

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