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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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nichts mehr, und auch Eley schwieg, obwohl ihm so vieles durch den Kopf ging. Jetzt hätte er gern über die Vergangenheit geredet, um die Möglichkeit einer Zukunft zu beschwören, weißt du noch, in den Bergen bei Blida, lass uns das irgendwann noch mal machen …
    Stattdessen starrte er stumm auf die Gänsehaut, die sich an Amels Nacken gebildet hatte und verschwand und sofort wiederkam und verschwand, bis Lyon Rigal plötzlich im Raum stand und sagte, es sei Zeit zu gehen.

60
    PESSIN
    Nein, dachte Djamel. Sie lebte.
    Sie kannte den Weg durch die Minen, lief wie eine Antilope, ruhig und sicher, mit weiten Sprüngen. Und Kugeln konnten sie in der Nacht nicht finden, in der Nacht war Karima unsichtbar.
    Bald, sagte er sich, würden sie von ihr hören.
    Aber Yazid und all die anderen …
    Der alte Zinedine. Hatte den ersten algerischen Krieg mitgemacht, den zweiten, hatte den dritten herbeigesehnt. Drei Kriege braucht dieses Land, bis es frei ist, hatte er gesagt. Und wenn dafür nötig ist, dass ich zum Trappisten werde, werfe ich mir meinethalben eine Christenkutte über.
    Er hob den Blick, schaute über das Feld, das weit hinten an einer Baumreihe endete. In der Ferne bewegte sich ein Schatten, rannte und sprang, verschwand im Sonnenlicht.
    Er steckte das Telefon ein und kehrte zu seinem Großvater zurück. »Aziz«, sagte er nur.
    Der Großvater nickte.
    Sie gingen weiter, am Ortsrand entlang. Immer wieder zeigte der Großvater auf ein Haus oder ein Tor, an dem eine seiner Kacheln mit Namen, arabischen Sinnsprüchen, Ornamenten hing.
    »›In der Milde wohnt Schönheit‹«, las Djamel.
    »Ein Lehrer, die Kinder sagen, er ist lieblos, ein alter, strenger Knochen. Jetzt strömt die Milde durchs Mauerwerk in sein Wohnzimmer.«
    Sie lachten.
    »Bleib doch bis Montag, Djamel.«
    »Ich kann nicht.«
    »Dann komm bald wieder. Im Frühling ist es sehr schön hier, weißt du.«
    »Ja«, sagte Djamel.
    »Du kommst im Frühling?«
    »Ich komme.«
    Am Ende der Straße ein schmuckloses Haus, eine größere Kachel neben der Tür, darauf standen ein Familienname und ein Ratschlag – Muhammad sagte: Halt dich aus allem raus, was dich nichts angeht .
    Der Großvater hob die Schultern. »Gesine. Zu neugierig.«
    Wieder lachten sie, aber es klang anders, dachte Djamel, schwer vom Gedanken an den Frühling, von der unbestimmten Ahnung, dass sie sich nicht wiedersehen würden.
    Ein Stunde später schüttelte er in der Gaststätte »Pessiner« Hand um Hand, hörte Namen um Namen, wurde mit deutschen Gesichtern vertraut. Die neugierige Gesine war darunter, der lieblose Lehrer, die Bürgermeisterin Dani, die sein Blick in Verlegenheit zu bringen schien, ihre Tochter Jenny, eine stille, starke Frau, deren Blick ihn in Verlegenheit brachte. Viele wechselten ein paar Worte auf Englisch mit ihm. Andere kamen ihm verunsichert vor und sagten nur hallo.
    Auch Robin war da. Der Großvater winkte ihm zu, rief etwas. »Ich habe gesagt, dass du ihn kennenlernen möchtest, dass du mit ihm Fußball spielen möchtest.«
    Der Junge trat zögernd heran, sah hinter langen blonden Haaren zu ihm hoch und gab ihm flüchtig die Hand, eine Kinderhand, weich und unbestimmt. Djamel dachte, dass er sie gern festhalten, dem Jungen gern sagen würde, es sei nicht nötig, Angst zu haben, Angst sei ein schlechter Freund, Zuversicht und ein klarer Wille bessere. Doch die Hand entzog sich seiner rasch.
    »Germany versus Algerien«, sagte der Junge ernst.
    Djamel nickte. »It’s a pleasure to meet you. In Algeria they say, you play very good football.«
    Die Augen des Jungen weiteten sich, er ließ die Haare vors Gesicht gleiten, aber dann lachte er, und Djamel lachte mit ihm, genau wie die stille, starke Frau, Jenny, die noch neben ihnen stand. Er sah sie an, sie kam ihm jetzt zugleich stark und weich vor, im Gesicht und körperlich, und er fand sie auf eine alltägliche Weise schön.
    Ein Mann drückte ihm eine Flasche Bier in die Hand. Djamel lächelte und gab die Flasche zurück, und der Mann verstand sofort und entschuldigte sich.
    Sie setzten sich an einen der rechteckigen Tische, die in Nischen mit Trennwänden aus Holz standen, er, der Großvater, die Bürgermeisterin und Jenny und ein paar andere. Die Einrichtung der Gaststätte erinnerte ihn an manche algerischen Restaurants oder Wohnungen, zu viel von allem, zu viel Stoff, zu viele Farben, zu viele Gemälde oder Fotos an den Wänden, zu viele Tische und Menschen und Stimmen. Es wurde immer lauter, der

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