Ein paar Tage Licht
Saal füllte sich schnell. Eine Musikgruppe spielte deutsche Lieder, mehrere Männer, Jennys Mutter und zwei Pfarrer hielten Reden, dann spielte die Musikgruppe wieder, und die ganze Zeit über spürte er Jennys Oberschenkel an seinem und fragte sich, wie es sein konnte, dass er fast im selben Moment an Yazid und Zinedine und die anderen Toten denken konnte, an die über die nächtlichen Ebenen fliehende Karima – und an den weichen Körper einer Frau, die kaum ein Wort sagte und von der ihn zahllose Welten und die Trauer und der Zorn trennten.
Um zehn stand der Junge plötzlich neben ihm, den Ball in den Armen. Der Großvater sagte: »Er muss in einer Stunde ins Bett. Er will spielen.«
»But it’s dark outside.«
Der Junge hielt einen Schlüssel hoch. »I have light.«
»Komm«, sagte der Großvater auf Algerisch. »Ich im Tor, du gegen den Jungen. Das wird ein Spiel! Ich sehe schon die Schlagzeilen der Zeitungen morgen: Deutschland gegen Algerien, ein Kampf auf Augenhöhe. Das Stadion von Pessin brodelt, Spannung pur. Im Tor Youcef Benmedi, eine Legende des FLN -Teams, der ersten algerischen Nationalmannschaft.«
Er schien es auf Deutsch zu wiederholen. Alle lachten.
Auch die beiden Frauen standen auf, Dani und Jenny, es hatte den Anschein, als wollten sie mitspielen. Zu fünft gingen sie hinaus, folgten stillen, dunklen Straßen. Nach ein paar Minuten kamen sie am Haus des Großvaters vorbei, das Dorf franste aus, die Lücken zwischen den Gebäuden wurden breiter. Rechts lag unter dem silbrigen Licht des Mondes ein Feld, und Djamel dachte wieder an Karima, er stellte sich vor, dass sie erschöpft zwischen Felsen Schutz gesucht hatte, um ein paar Stunden zu schlafen und am frühen Morgen weiterzulaufen.
»The Street of the Youth«, sagte Jenny und deutete mit dem Finger auf den Asphalt.
»Nice name. Please say it in German.«
»Straße der Jugend.«
Djamel lächelte. Er mochte es, wie sie sprach. Auch ihre Stimme war weich, wie alles an ihr stark und weich zu sein schien, so wie das Meer vielleicht, das Wasser des Meeres an einem ruhigen Sommertag, das einen warm und sanft umschloss.
»And in your language?«
Er sagte es auf Algerisch.
»Oh.« Sie lächelte.
Robin war ein paar Meter zur Seite gelaufen, spielte ihn an, und so schoben sie sich den Ball zu, während sie weitergingen, Robin und er und manchmal auch Jenny.
»What did you do in your youth?«
»Searching my father«, erwiderte er. »And you?«
»Visiting the grave of my father.«
»Poor kids.«
Sie lachten.
»Why did he die?«
»Because he was stupid. He drove his motorcycle against a tree. He was drunk. Why did your father, äh, vanish?«
»Long story. Algerian story.«
Sie hatten das »Stadion« erreicht, einen gepflegten Platz mit sechs Flutlichtmasten und ein paar Bänken entlang der Seitenlinien, kein Vergleich zum Stadion von Bologhine, doch der Belag aus echtem Gras, kein Kunstrasen.
Robin lief in das flache gelbe Vereinsheim, Sekunden später flammten die Flutlichter auf.
Sie spielten zwei gegen zwei, Jenny mit Robin, Djamel mit dem Großvater, im Tor stand Jennys Mutter. Djamel musste viel laufen, sein Großvater bewegte sich kaum, vom Straßenfußballer zum Standfußballer, sagte er bedauernd, das ist das Alter, das nagt an mir und macht die Beine wacklig, verzeih. Aber er gab präzise Vorlagen, und Djamel bemühte sich, nicht allzu viele davon zu verwerten.
Es fiel ihnen leicht, glaubwürdig zu verlieren. Jenny sperrte lustvoll die Wege für Robin frei, der für drei rannte und den Ball ein ums andere Mal mit größter Ruhe über die kleine Dani lupfte oder an ihr vorbei ins Tor schob, während Djamel sich lachend mit Jennys Händen abmühte, die ihn hielten, blockten, stießen.
»Germany sixteen, Algeria eleven, so Algeria lost«, sagte der Großvater um elf und steckte sich den Ball unter das Hemd.
»Revenge tomorrow?«, fragte Robin.
Das Rückspiel wurde per Handschlag besiegelt.
»Let’s stay«, flüsterte Jenny, und Djamel nickte.
Sie saßen im Mittelkreis, die Flutlichter ausgeschaltet, der Schein des Mondes schimmernd über dem Gras. Djamel erzählte von den Spielen gegen die aus Bab el Oued, von Aziz, der von einem Pfosten zum anderen geflogen war, immer einen gemurmelten Spruch auf den Lippen, von seinem Vater, dem sie über die Mauer hatten helfen müssen, weil er dick und schwer geworden war. Auch im Stadion von Bologhine hatten keine Zuschauer auf den Rängen gesessen, außer den Toten vom
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