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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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Nacht hinter sich. Um vier war er schließlich aufgestanden und hatte sich im Wohnzimmer zum elften Mal Last Samurai angesehen, den er liebte wie keinen anderen Film. Alles Wesentliche kam darin vor, alles, was man zu sein und zu haben sich nur wünschen konnte. Ein schöner Mann, eine schöne exotische Frau, niedliche Kinder. Helden der Vergangenheit, Helden der Zukunft. Die Ausstattung einer ganzen Armee mit modernen Waffen. Ein Untergang in Würde und Größe.
    Die Möglichkeit der Wiederauferstehung.
    Liebe.
    Er streckte sich unauffällig. Mit schweren Lidern stand er am Panoramafenster seines Büros, keinen Zentimeter von der Scheibe entfernt, um sich an deren besänftigender Kühle zu laben. So wollte er untergehen, dachte er, wie Nathan Algren und Katsumoto. Aufrecht, generös, altruistisch.
    Du willst das Haus in Dahlem? Gut.
    Die Wohnung in Ischgl? Wird auf dich überschrieben.
    Den BMW ? Natürlich.
    Den Jaguar für den Jungen? Dann soll es eben so sein.
    Alles, was er noch brauchte, würde eines Tages schon kommen. Eine Hütte in einem blühenden Tal, eine schöne Japanerin im Wickelkleid.
    Ein Pferd.
    Er rieb sich die ausgetrockneten Augen und unterdrückte ein Gähnen. Die Lust zu lachen überkam ihn, er verschob es auf später. Mit Humor untergehen, das sollten ihm Algren und Katsumoto erst einmal nachmachen.
    »Der Reichstag, General«, sagte er. »Daneben das Brandenburger Tor.«
    »Der General kennt Berlin«, entgegnete Moussa nicht unfreundlich.
    »Nur von Osten«, sagte Soudani, der an diesem Vormittag milder gestimmt zu sein schien als sonst.
    Kein Wunder, dachte Wegner. Ein langer Abend in Dahlem, ein Tisch voller Speisen. Seine Frau, den Hermès-Schal um Hals und Schultern, hatte sich noch einmal selbst übertroffen. Ihre sanfte Stimme, ihre Höflichkeit, gepaart mit größter Aufmerksamkeit, die Soudani Raum gelassen hatte, von Erinnerungen an seine Kindheit in irgendeinem algerischen Wüstenkaff zu erzählen, von dem Lebensmotto, das ihn antreibe, einem Ausspruch ausgerechnet von Charles de Gaulles, wie er mit fast spitzbübischem Lächeln angemerkt hatte: »›In unserer Zeit lohnt nur ein einziger Kampf, der um den Menschen; den Menschen gilt es zu retten, ihm das Leben zu geben, ihn zu entwickeln.‹«
    Seine Frau war beeindruckt gewesen. Was für ein schönes Motto!
    Auf den Menschen!, hatte Wegner gerufen und das Wasserglas erhoben.
    Auf den Kampf um den Menschen!, hatte Soudani präzisiert.
    Eine beinahe fröhliche Runde, selbst der sonst so herablassende Said Moussa hatte sich als kommunikativ erwiesen und eine halbe Stunde lang über algerische Literatur referiert und Gedichte rezitiert.
    Wegner hatte seiner Frau zugelächelt und gedacht: Und auf solche Abende willst du verzichten?
    Sie hatte das Lächeln erwidert. Aber sie hatte ihn nicht berührt. Nicht ein einziges Mal am ganzen Abend. Hatte nicht wie früher die Hand über seine Schulter, seinen Arm gleiten lassen, sie nicht auf sein Handgelenk gelegt, geschweige denn, im Wohnzimmer auf der Couch, leicht auf sein Knie. An seine Taille, wenn sie nebeneinander gestanden hatten.
    Und Soudani hatte es bemerkt. Hatte erkannt, dass er, Wegner, im Untergang begriffen war, nur noch Gast im eigenen, einst für ewig gehaltenen Zuhause. Wissend waren die kleinen, harten Augen von ihm zu ihr geglitten, von ihr zu ihm, fast so, als hätten sie eine Verbindung herstellen oder erzwingen wollen und zugleich erkannt, dass es zu spät war. Seitdem lag in des Generals Soldatenblick ein Schimmer Mitgefühl, der Wegner zugleich beschämte und tröstete.
    Soudani wandte sich vom Fenster ab. »Ein bemerkenswerter Teppich.«
    »Ein Flokati. Griechisch. Dreitausend Gramm Wolle pro Quadratmeter. Wassergerieben. Selbst gemacht, sozusagen.« Wegner erzählte, wie er am Wasserbottich gestanden hatte, eine Stange in der Hand, um das Gewebe aus dem zerstörerischen Zentrum des Strudels herauszuhalten. »Sie wollen ihn? Nehmen Sie ihn.«
    »Nein, vielen Dank.«
    »Passt wunderbar zu Ihrer Uniform.«
    »Er ist zu groß für meine Wohnung.«
    Wegner lächelte erleichtert. Das, dachte er, war knapp gewesen.
    Ein Fiepen erklang, das Telefon auf seinem Schreibtisch. Er wartete kurz, winkte dann ab und sagte: »Ich habe eine Reichstagsführung arrangiert. Nur Sie beide und ich. Hinterher Mittagessen mit einem der Vizepräsidenten des Bundestags und Herrn Dr.   Riehle, Mitglied der Regierungsfraktion. Feiner Mann, Sie werden ihn schätzen. Ein Freund von Meininger

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