Ein paar Tage Licht
Autovermietung.
»Wie heißt er?«
»Reinhold Wegner.«
»Schreib es mir auf.«
Djamel nahm das Telefon, während Aziz schrieb, betrachtete die übrigen Fotos. Ein elegantes, modernes Haus in der Abenddämmerung. Ein Jaguar traf ein, am Steuer der Deutsche. Soudani und Moussa beim Aussteigen.
»Berlin«, sagte Aziz, tippte mit dem Stift gegen das Handy. »Gestern Abend.« Malika habe die Fotos gemacht. Das Haus gehöre dem Lobbyisten, sie hätten dort gegessen, seien um Mitternacht von einem Taxi abgeholt worden.
Weitere Aufnahmen. Eine prächtige, alte Villa mit Erkern, einem Türmchen in einer Allee. Das Taxi beim Wegfahren, Soudani und Moussa, die auf das Vorgartentor der Villa zugingen. Sie schienen dort zu wohnen. Wie lange und weshalb – Aziz zuckte mit den Schultern. Djamel spürte seine Unruhe und sagte, es spiele keine Rolle, dass Soudani in Deutschland sei. Der Transport finde statt, alles andere sei nebensächlich. Aber auch er stellte sich Fragen, vor allem eine: Würde Soudani den Transport am Samstag doch nicht begleiten?
»Ist Malika bei ihnen?«
»Einer der anderen«, sagte Aziz.
Sie umarmten sich lange.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Djamel erneut.
Dann stieg er aus und sah Aziz nach, der wendete und auf die Bundesstraße abbog, um nach Paris zurückzukehren. Als der Wagen außer Sichtweite war, rief er Malika an und ließ sich die Adresse der Villa geben.
Sagte, sie sollten die Observierung des Generals abbrechen.
Über morastige Felder ging er zum Dorf zurück. Sein Blick glitt über das dunkelgraue Land, in dem wenige Stunden zuvor überraschend für eine Nacht ein anderes Leben denkbar gewesen war als jenes, in das er an einem Abend vor siebzehn Jahren gezwungen worden war.
Ein Leben nach dem Verlust. Ein Neubeginn.
Aber er wusste, dass er das nicht zulassen konnte.
Er hatte die Straße der Jugend erreicht, als Toumi erneut anrief.
Die offizielle Erklärung des Militärs: eine ratissage gegen ein AQMI -Versteck. Die Geisel von den Entführern ermordet. Alle dreißig Terroristen getötet.
»Dreißig?«, fragte Djamel.
»Ja.«
Er war stehen geblieben, ging jetzt weiter. In der Küche war Licht, er sah seinen Großvater unter dem Mekka-Schild am Herd stehen, eine Schürze umgebunden. Gedämpft drang klassische Musik an sein Ohr.
Er zog den Schlüssel aus der Hosentasche, trat ins Haus und schloss sachte die Tür, eine Hand blieb am Türblatt, strich über das lackierte Holz. Für einen Moment meinte er den Duft von Anis wahrzunehmen, aber er musste sich täuschen.
»Djamel?«, rief der Großvater.
Er antwortete nicht.
Dreißig Tote in den Bergen von Bouzeguène.
64
BERLIN
»Harry, Harry«, sagte Eley anerkennend.
Landrich grinste. »Ich hab’s noch drauf, was?«
»Hab nie daran gezweifelt.«
Djamel Benmedi.
Eley sah auf den Ausdruck in seiner Hand hinab. Benmedi war am Montag in Paris angekommen. Als Aufenthaltsadresse hatte er die Wohnung eines Aziz Amrani genannt. Dort hatten die Pariser Kollegen am Nachmittag keinen der beiden angetroffen. Die Nachbarn hatten Amrani seit Montag nicht gesehen. Nach Auskunft der Mitarbeiter des Abgeordneten, in dessen Büro er arbeitete, hatte er die ganze Woche Urlaub.
Amrani und Benmedi waren verschwunden.
Harry Landrich hatte sich mit diesem Ergebnis nicht zufriedengegeben. Er hatte weitergesucht und einen Benmedi in Deutschland gefunden: Youcef, laut algerischer Botschaft Djamels Großvater. Wie einige Hundert andere algerische Vertragsarbeiter war er in den Siebzigern und Achtzigern im Gaskombinat Schwarze Pumpe in der Niederlausitz beschäftigt gewesen.
Eley hob den Kopf, sah zum Fenster von Landrichs Büro hinüber, gegen das der Regen trommelte. Hinter den Scheiben war es dunkel, ob von Wolken oder dem Abendhimmel ließ sich nicht sagen. Vor einer halben Stunde hatte er in der Dämmerung dort gestanden und hinuntergeschaut. Statt einer Bucht ein Fluss, statt eines Hafens ein S-Bahnhof, statt weißer Häuser eine fremde Stadt, und in der Ferne nicht Cap Matifou, sondern Plattenbauten.
Vier Jahre, dachte er, fünf hätten es werden sollen.
Sein Blick kehrte zu Landrich zurück, der noch immer grinste, der Rücken lang und gekrümmt, die Unterarme und die flachen Hände lagen auf dem Schreibtisch.
Auf der Fahrt von Tegel ins Referat hatte Landrich ihm die Leviten gelesen und eine kleine Liste derer vorgetragen, die ihn unverzüglich zu sprechen wünschten: die Staatsanwaltschaft Lüneburg, hohe Beamte des AA , der
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