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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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europäischen Friedhof.
    »Du hast da Tote sitzen gesehen?«
    »Ja.«
    »Wie sie euch zuschauen?«
    »Sie waren Fußballexperten, dass konnte man sehen.«
    Sie lachten leise.
    Küssten sich.
    »Komm«, sagte Jenny.
    Sie kehrten ins Dorf zurück. Aus dem »Pessiner« drangen Stimmen, Gelächter und Musik. In der Nähe des Hauses, in dem Jenny und ihre Mutter lebten, kam ihnen der Großvater entgegen. Er ging auf der anderen Straßenseite, den Kopf gesenkt, in Gedanken versunken, schwerfällig, ein einsamer, alter Mann. Sie waren stehen geblieben, doch er bemerkte sie nicht. Djamel wollte zu ihm gehen und ihn aufmuntern, doch was hätte er schon sagen können?
    Im Frühling komme ich wieder, Großvater.
    Im Herbst besuchst du mich.
    Doch vorher töte ich den Mann, der dir den Sohn und mir den Vater genommen hat.
    Wenig später hatten sie das dunkle »Janke-Haus« erreicht, wie Jenny es nannte. Sie führte ihn zur fensterlosen Seitenwand. Etwa drei Quadratmeter davon zierten Kacheln des Großvaters, bunt auf weiß, eine akribisch an die andere gesetzt, beginnend mit der Ecke. Alle paar Wochen, sagte Jenny, komme eine neue dazu, bis eines Tages die ganze hässliche Wand hinter arabischen Ornamenten und Wörtern verschwunden sei; das zumindest sei Youcefs Ziel.
    Djamel übersetzte ein paar der Wörter für sie: Liebe. Schönheit. Traum. Meine Augen. Heimat. Thüringen. Perfekt. Lächeln. Licht.
    »Perfekt?«
    »Ja.«
    »Mama sagt das immer. ›Perfekt!‹«
    »Und er schreibt es auf.«
    Sie nahm seine Hand und zog ihn hinter das Haus, an das sich ein wilder, unübersichtlicher Garten anschloss. In einem Winkel stand zwischen zwei Obstbäumen eine winzige Hütte.
    Sie öffnete die schmale Tür. »Als Kind wollte ich einen Ort, an dem die Welt in Ordnung ist. Hier darf nur rein, wer gute Gedanken hat. Schöne Gedanken.«
    Im Mondlicht sah er die Konturen eines Sofas, Bücher und CD s lagen herum, ein Teppich, Kissen, auf einem umgedrehten Eimer standen Kerzen.
    »Woran denkst du?«, fragte sie.
    »An das warme Wasser des Meeres.«
    »Oh. Ich denke an Sex.«
    Djamel lächelte.

61
    ALGERISCH-MAROKKANISCHE GRENZE
    Drei Uhr morgens, sie saßen in Toumis Wagen, warteten am Rand einer nicht asphaltierten Straße. Vor ihnen führte ein Schotterfeld in die Dunkelheit. Im Licht der Scheinwerfer hatte Eley zahlreiche Pisten gesehen, die kreuz und quer über die unbefestigte Grenze nach Marokko verliefen. Schmugglerrouten.
    Nicht weit von ihnen entfernt stand ein Streifenwagen. Toumis Leute, würden sich nicht rühren, wenn es so weit war.
    Es, dachte er.
    Das Ende seiner algerischen Zeit.
    Er sah die Steinchen in Richters Händen vor sich. Die beiden Reihen auf dessen Bett, oben vier, darunter fünf.
    Vier Tage, fünf Tote.
    Vier Jahre, fünf hätten es werden sollen. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Vier Jahre, fünf hätten es werden sollen.
    Das und die Dunkelheit jenseits von Algerien.
    »Sie kommen«, sagte Toumi.
    Eley hatte den Wagen schon bemerkt. Ohne Licht rollte er langsam über das Schotterfeld auf sie zu. Fünfzig Meter vor ihnen blieb er stehen und wendete. Auf der Beifahrerseite stieg ein Mann aus. Keine Bremsleuchten, keine Innenraumbeleuchtung.
    Die beiden Männer gehörten nicht zu Toumis Bewegung. Sie lebten in einem der Dörfer auf marokkanischer Seite, schmuggelten normalerweise Benzin oder Olivenöl, halfen nur manchmal, wenn Toumi jemanden einschleusen oder hinausbringen wollte.
    Sie reichten sich die Hand.
    »Danke«, sagte Eley.
    Toumi lächelte matt. »Vielleicht sind wir ja doch Verbündete.«
    »Vielleicht.«
    »Machen Sie sich wegen Mademoiselle Samraoui keine Sorgen.«
    Eley nickte, stieg aus und ging langsam auf das Auto der Schmuggler zu. Der Mann auf der Beifahrerseite winkte ihm, sich zu beeilen. Aber er hatte es nicht eilig. Nur vier Jahre, da zählte jede Sekunde.
    Der Mann zischte ihm etwas zu, während er die Fondtür öffnete. Ein schwarzer Turbanschal verdeckte sein Gesicht fast vollständig. Im Wageninneren roch es durchdringend nach Benzin. Auch der Fahrer war vermummt.
    Sie fuhren los. Hier, fernab größerer Straßen, war die Grenze nicht markiert. Minutenlang wusste er nicht, ob er Algerien schon verlassen hatte.
    Nach einer Viertelstunde klopfte der Beifahrer dem anderen Mann auf die Schulter. Sie begannen zu reden, und Eley spürte ihre Erleichterung.
    Er wandte sich um. Algerien war in der Nacht verschwunden.

V
    NEUANFÄNGE

62
    BERLIN
    Reinhold Wegner hatte eine schlaflose

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