Ein paar Tage Licht
einspurige Allee, die an einem dunklen Tag wie diesem von Pessin aus nicht einsehbar war.
Aziz ließ den Wagen ausrollen, vor einem Baum kamen sie zum Stehen. »Er ist wütend, Allah. Er hat Schluckauf, hat zu viele Unverdauliche verspeist. Man muss nicht gläubig sein, um an Allah zu glauben.«
Djamel legte ihm die Hand auf den Arm. »Abderrahmane hat angerufen.« Er erzählte von Bouzeguène. Den Toten. Von Richter.
Aziz nahm sich eine Zigarette, öffnete das Fenster einen Spalt, als sie brannte. »Wie viele?«
»Neunundzwanzig. Dazu Richter.«
»Kannte ich einen?«
»Ich glaube nicht«, sagte Djamel.
Sie schwiegen lange, dann sprachen sie über Richters Tod. Sie waren unterschiedlicher Ansicht. Aziz sah darin eine schwere Hypothek. Wie sollten sie der Welt beweisen, dass sie ein demokratisches Algerien wollten, wenn sie für den Tod eines unschuldigen Deutschen verantwortlich waren?
»Die Armee ist verantwortlich«, sagte Djamel. »Außerdem war Richter eine AQMI -Geisel. Bouzeguène war ein AQMI -Versteck.«
»Wir müssen die Verantwortung übernehmen. Das gehört dazu. Die Wahrheit.«
»Zur Demokratie?«
Aziz nickte.
»Du bist einen Schritt zu weit«, sagte Djamel sanft und dachte: einen Schritt zu weit entfernt in Paris, in Frankreich.
Erst der Krieg, dann die Demokratie. Viele weitere unschuldige Menschen würden sterben, bis es so weit wäre. Vielleicht noch mehr Deutsche, in zwei Tagen.
Toumi und er waren sich einig gewesen, dass sich durch Bouzeguène an ihrem Plan für Samstag nichts geändert hatte. Im Gegenteil. Gerade jetzt mussten sie zurückschlagen. Für Verwirrung und Unruhe sorgen, auch im Ausland. Diesmal würde es kein Bekennerschreiben geben, keine Dschihadisten-Verkleidung. Sie würden die Regierung und die Dienste Algeriens für eine Weile im Ungewissen lassen. So würden sie sich den strategischen Vorteil, der durch Richters Tod verloren gegangen war, zurückholen. Und sie würden ihren Landsleuten in Algerien und der Welt zeigen, dass sich ein schlagkräftiger Widerstand gebildet hatte. Künftig würde es ihnen noch leichter fallen, Unterstützer und Kämpfer zu akquirieren. Dann, irgendwann in der Zukunft, würden sie die Stimme erheben. Männer wie Aziz würden als politisches Sprachrohr in Erscheinung treten. Eine Exilregierung bilden.
Aber noch standen sie am Anfang. Mit Richter hatte der Krieg begonnen. Am Samstag würde der zweite Schritt folgen.
»Ich muss zurück. Hast du die Waffen dabei?«
Aziz nahm eine Reisetasche vom Rücksitz, wühlte in Sportkleidung und zog schließlich zwei in T-Shirts eingeschlagene Pistolen heraus, dazu Schalldämpfer und Munition. Djamel legte die ungeladenen Waffen auf seine Oberschenkel, eine Glock 17 und eine P8 von Heckler & Koch. Mit beiden Modellen hatte er nie geschossen, er würde sie in der kommenden Nacht mit den Schalldämpfern im Wald testen, um sich mit ihnen vertraut zu machen.
»Malika holt dich morgen Nachmittag um fünf.«
»Nicht in Pessin. Mein Großvater denkt, ich fahre mit dir zurück.«
»Dann bleibe ich noch eine Nacht und …«
»Nein«, sagte Djamel. »Es ist sicherer für dich, wenn du heute fährst.« Er würde den Bus nach Nauen nehmen, Malika am dortigen Bahnhof treffen. Er steckte Waffen und Zubehör in die Taschen der Regenjacke, die ihm der Großvater geliehen hatte. Als er Aziz ansah, waren dessen Augen nachdenklich. »Mach dir keine Sorgen, alles wird klappen.«
»Ich weiß.«
»Was ist es dann?«
Aziz ließ die Fensterscheibe ganz herunter. Frische, feuchte Luft drang in den Innenraum. Regentropfen fielen auf den Fensterrahmen, seinen Anzugärmel. Er wandte sich Djamel wieder zu. »Soudani ist in Berlin, und wir wissen nicht, warum.«
Djamel versuchte zu verstehen. Von Toumi hatte er andere Informationen erhalten – Soudani wolle nach Altniederndorf, gewährleisten, dass der Transport ausreichend gesichert werde, selbst mitfahren. Von Berlin war keine Rede gewesen.
»Hast du gewusst, dass er kommt?«
»Nein«, sagte Djamel.
»Jedenfalls ist er hier.« Aziz zeigte ihm Handyfotos, die die in Altniederndorf stationierten Kameraden geschickt hatten. Drei Männer auf dem Parkplatz von Meininger Rau – Soudani, Said Moussa und ein Deutscher. Großaufnahmen des Deutschen. Sie stiegen in eine Mercedes-Limousine, der Deutsche fuhr.
»Ein Lobbyist aus Berlin«, sagte Aziz.
Fotos von einem Flughafen, Stuttgart. Die drei bei der Wagenrückgabe. So hatten sie den Deutschen identifiziert, über die
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