Ein paar Tage Licht
Leiter des Krisenreaktionszentrums, Kollegen vom BKA , ein paar mehr.
»Kannst du mir die Bürokraten morgen noch vom Leib halten?«
»Du willst nach Pessin?«
Eley unterdrückte ein Gähnen. »Und runter nach Altniederndorf.«
»Lass das andere machen. Ist nicht dein Job.«
»Ist es schon, Harry.« Abgesehen davon, dachte er, war er es Richter schuldig.
»Dein Job ist es, zu Kreuze zu kriechen.« Landrichs Kopf senkte sich ein Stück, die Hände schlossen sich. Das lange Gesicht war jetzt gestrafft.
Eley seufzte stumm. Ein weiterer Sturm zog auf.
»Ich weiß nicht, ob in der Geschichte des diplomatischen Dienstes jemals einer unserer Leute zur Persona non grata erklärt wurde, es ist auf jeden Fall ein absolutes Desaster. Viele verärgerte Menschen müssen sich deinetwegen bei vielen anderen verärgerten Menschen entschuldigen, und es ist noch nicht gesagt, dass außer dir nicht auch der eine oder andere von ihnen den Kopf verliert.«
»Du, Harry?«
»Durchaus möglich.«
»Das würde mir leid tun.«
»Hört euch den Arsch an.«
»Nicht wütend werden, Harry.«
Landrich klatschte die Handflächen auf den Tisch, im hohen Singsang äffte er ihn nach: »›Das würde mir leid tun.‹ Ist das so, Ralf?«
Eley ließ es über sich ergehen. Er konnte Landrich verstehen. Aus der deutschen Bürokratenperspektive zählten seine Gründe für das, was er getan hatte, nicht. Probleme, die nur gelöst werden konnten, indem man Regeln bräche, löste man, indem man sie anderen überließ, in diesem Fall den Algeriern. Man schickte vielleicht den einen oder anderen Minister, wie bei den Sahara-Entführungen 2003, versuchte, politisch auf die algerische Regierung einzuwirken. Alles andere jedoch blieb den Algeriern vorbehalten – obwohl man wusste, wie kompromisslos sie handelten. Pech für die Geiseln.
Er stand auf. »Du hast dir die Fotos angeschaut?«
Landrich nickte stumm.
»Was hast du darauf gesehen?«
»Das weißt du verdammt genau.«
»Wir haben Richter verloren, Harry. Das ist das Desaster. Alles andere interessiert mich nicht.«
»Du redest dich um Kopf und Kragen.«
»Ich bin müde, ich hab Hunger, ich hab mich seit zweieinhalb Tagen nicht umgezogen, und in meinen Schuhen sind marokkanische Kieselsteine, die mir die Fußsohlen durchlöchern. Was erwartest du von mir? Diplomatische Floskeln?«
»Mir kommen die Tränen.«
Eley unterdrückte den aufkeimenden Zorn. Er holte Landrichs Papierkorb, setzte sich wieder, streifte die Schuhe ab. Prasselnd fielen die marokkanischen Steinchen auf Altpapier.
»He«, sagte Landrich.
»Bin gleich wieder da«, sagte Eley. Er ging ins Erdgeschoss, zog sich eine Cola aus dem ersten Automaten, zwei Sandwiches aus dem zweiten. Er hatte seit Algier nichts gegessen, nur ein paar Reste bei Lyon Rigal am Nachmittag zuvor. Auf der dreistündigen Fahrt mit Toumis Schmugglern nach Nador an der Mittelmeerküste war ihm nicht nach Essen zumute gewesen, auf den Flügen nach Barcelona und Berlin hatte er zumeist geschlafen. In Tegel hatte der bebende Harry Landrich gewartet. Essen? Spinnst du? Jetzt ist Beichten dran! Wenigstens siehst du wie ausgekotzt aus, das gefällt mir, das besänftigt mich ein bisschen.
Er fuhr mit dem Lift nach oben, kehrte in Landrichs Büro zurück, aß und trank gierig, während der Chef zusah.
Am Nachmittag hatte Algier der Bundesregierung die offizielle Version der Ereignisse mitgeteilt. Richter sei beim Versuch der Armee, ihn zu befreien, von seinen AQMI -Entführern ermordet worden. Die Militäraktion sei trotzdem ein Erfolg gewesen. Dreißig Dschihadisten getötet, das Versteck in den kabylischen Bergen zerstört. Richters Leiche sei auf dem Weg nach Algier, wo sie zur Überführung nach Deutschland vorbereitet werde.
Das Auswärtige Amt hatte eine entsprechende Presseerklärung verschickt. Online war sie bereits überall zu lesen. Die Deutschen hatten hier ein »offenbar« eingefügt, dort ein »vermutlich«, ein »nach Informationen algerischer Behörden«. Es änderte nichts: al-Qaida, alles andere wäre zu problematisch gewesen. Richter bei einer ratissage aus Versehen vom Militär erschossen? Die Entführer keine Islamisten? Auch Algerien womöglich vor einem Arabischen Frühling? Einem Bürgerkrieg?
Undenkbar.
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass du mir höchstens die Hälfte erzählt hast«, knurrte Landrich.
»Ein Viertel, Harry.«
Landrich lachte rau.
»Eines noch: Soudani.«
»Der General.«
Eley nickte kauend. »Tust du
Weitere Kostenlose Bücher