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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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was?«
    »Bedenken.«
    »Bedenken?«
    »Hat einer aus der Botschaft in Algier an einen im Außenministerium in Berlin geschrieben. Januar 2010. Bedenken wegen KP . Scheint privat in etwas verwickelt. Auf Deutsch.«
    Rischa nannte Namen. Den Absender kannte Wegner nicht, ein Referent, zurzeit Brasilia. Der Adressat war Dr.   Heinrich Zimmermann, zurzeit Charité, Intensivstation.
    »Bleib am Ball«, sagte Wegner und warf das Handy auf den Beifahrersitz.
    Ich denke Tag und Nacht an dich.
    Vielleicht hatte Zimmermann Prinz ja nicht nur wegen ihrer diplomatischen Qualitäten aus Algier zurückgeholt.
    Er hatte den letzten Dönerbissen hinuntergeschluckt, säuberte Hände und Lippen mit einem Taschentuch. Fasziniert beobachtete er, wie Prinz ihren Körper an dessen Grenzen trieb. Schmerzen provozierte, um andere Schmerzen zu betäuben.
    Zwanzig Jahre, dachte er. Eine Ewigkeit, schiere Unendlichkeit. Längst verließ man sich darauf, dass es für immer war. Und dann, eines Tages, war es doch vorbei. Am schlimmsten musste es in der einst gemeinsamen Wohnung sein. Die permanente Erinnerung daran, dass der andere nicht mehr da war. Nur noch eine Zahnbürste im Becher. Der Kleiderschrank halb leer. Der Fernseher, die Lautsprecher fort. Beim Abendessen allein.
    Die Stille, dachte er. Die entsetzliche Stille.
    Schauer liefen ihm über den Rücken.
    Er sah den Hermès-Schal vor sich, auf dem Kaminsims der Lichtenberger Villa, sorgfältig zusammengelegt, damit er keinen Schaden nahm. Man ließ Dinge liegen, das kam vor. Es war warm gewesen im Wohnzimmer, sie hatte ihn abgenommen und im Trubel vergessen. Bestimmt war es ihr im Auto eingefallen, aber sie hatte nicht umdrehen, nicht stören wollen. Dann hatte sie nicht mehr daran gedacht, sie hatte ihn ja nicht gebraucht. Keine weiteren Dienstgespräche gerade im Auftrag des Gatten.
    Seine Gedanken kehrten zu Prinz zurück. Er hatte sie aus dem Blick verloren, fand sie nicht wieder. Egal, dachte er, es war spät, Zeit nach Hause zu fahren. Ein paar eheliche Worte mit seiner Frau zu wechseln.
    Da bemerkte er in der Mitte des Parks im Licht einer fernen Leuchte einen länglichen gelben Schimmer. Sie war noch da, hatte sich auf dem Spielplatz hingesetzt. War sie am Ende doch kollabiert? Er stieg aus, hastete unter den Bäumen hindurch und betrat den Weg, der um das Sandareal herumführte. Ein unerklärliches Geräusch war jetzt zu hören, eine Art Quietschen …
    Er blieb stehen. Prinz war nicht in den Sand gesunken, sondern hockte auf einem quergelegten Baumstamm neben einer Schaukel, auf deren Sitz ein Mann saß. Die Füße am Boden, bewegte er sich langsam vor und zurück. Dadurch entstand das Quietschen.
    Michael Schüring? Hatte es auch ihn zur gewohnten Zeit hierher getrieben? Zwanzig Jahre, da waren die Gefühle und Gewohnheiten nicht so einfach zu tilgen.
    Doch dann wären sie anders miteinander umgegangen, dachte Wegner. Lauter, melodramatischer, emotionaler. Du fehlst mir so … Wollen wir es nicht noch mal versuchen … Du Scheißkerl … Aber sie wirkten ruhig, erhoben die Stimmen nicht. Kein Weinen, kein Lachen.
    Da begriff er.
    Ein konspiratives Treffen. Der Mann war einer ihrer Mitstreiter. Ein wichtiger, ein prominenter Mensch, der sich nicht tagsüber in der Öffentlichkeit mit ihr zeigen wollte.
    Wegner eilte in die entgegengesetzte Richtung, um den neuen Feind von vorn sehen zu können. Ein Baum bot ihm Schutz, unermüdlich schoss das Smartphone Fotos von der Dunkelheit.
    Wenige Minuten später verabschiedeten sich die beiden mit Wangenküssen voneinander. Prinz lief in Richtung Neukölln davon, der Mann entfernte sich in Richtung Kreuzberg.
    Wegner folgte ihm parallel, überholte ihn, wartete am Ausgang.
    Doch der Mann kam nicht.
    War in der Nacht verschwunden.
    Viel Schwarz, wenig Haut. Längliches Gesicht, randlose Brille. Das Haar hell, unauffällig. Ohren. Nase. Kinn. Ein Mensch.
    »Verflucht«, sagte Wegner.
    »Schlechte Kamera«, sagte Sobich.
    »Besser kriegst du es nicht hin?«
    »Doch, doch.«
    Etwas mehr Haut, etwas mehr Brille. Das Gesicht friedfertig, intellektuell, lustfeindlich. Kariertes Sakko, Jeans bis zum Nabel hochgezogen. Ein Spießer. Mehr schaffte der Rechner nicht.
    »Reicht das für die Gesichtserkennung?«
    »Denke schon.« Sobich ließ sich im langlehnigen Arbeitssessel zurücksinken und schloss die Augen. Im Licht des Monitors sah Wegner die Pupillen unter den von Adern durchzogenen Lidern wandern. Pupillen, die beinahe jedes halbwegs

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