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Ein paar Tage Licht

Ein paar Tage Licht

Titel: Ein paar Tage Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Bottini
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nicht.
    Nicht einmal die Kinder am Krankenbett hatten ihn berührt.
    Vielleicht, dachte sie, hätte ihm hier ein wenig Nähe gutgetan. Ihr selbst. Aber es erschien ihr unmöglich, seine Hand zu halten, zu streicheln.
    Sie eilte durch den langen, neonbeleuchteten Gang, der den Neubau am Werderschen Markt mit dem Gebäude der alten Reichsbank verband, betrat den Lombard-Tresor, in dem sich das Krisenreaktionszentrum befand. Knapp zwei Dutzend Mitarbeiter des Krisenstabs waren anwesend, darunter Vertreter von BKA , BND und GSG 9, dem BMW i, dem Kanzleramt, natürlich Leute aus dem AA , vor allem aus dem Maghreb-Referat. Auch die Staatssekretärin war bereits eingetroffen. Prinz hatte im Lauf der Jahre einige Tage und Nächte hier unten verbracht, umgeben von Hightech-Rechnern und in die Wand eingelassenen Panzerschränken, dicht am Geschehen und doch schmerzhaft weit davon entfernt. Das grelle Deckenlicht blendete, es roch nach Kaffee, nach Schweiß und Müdigkeit, die Atmosphäre geprägt von Sorge und dem Gefühl der Ohnmacht.
    Die Staatssekretärin winkte sie zu sich, ungeduldig, ein bisschen herrisch. Die Last des Amtes prägte ihre Gesten, hatte ihre Augen starr und lauernd gemacht. »Endlich sind Sie da«, sagte sie.
    »Ich rufe zurück, Katharina.«
    »Nein, die Staatssekretärin wartet.«
    »Verdammt, ich bin im Auto.«
    »Dann halt an.« Aus dem Headset-Hörer drang das Tuten eines Schiffshorns, drang Gehupe, eine vorbeifliegende Männerstimme, Algerisch. Sie erkundigte sich, wo er sei, er erwiderte, gerade von zu Hause losgefahren, Place de la Grande Poste. Flüchtig hatte sie die ansteigende, von Palmen gesäumte Grünfläche vor Augen, um die der Verkehr toste. Die Ampeln, fast die einzigen, die es in der Innenstadt gab, das wunderschöne Postgebäude mit den schmalen, oben abgerundeten Fenstern, den beiden Kuppeln. Eley in seinem mittlerweile zwanzig Jahre alten weißen Peugeot 504, Sonnenbrille, höchstens drei Finger am Lenkrad. Es musste der Peugeot sein, der Dienstmercedes klang anders, dezenter, kein Röhren, nur ein Surren. Sie lächelte wehmütig. Die Erinnerung begann nachzulassen. Die Bilder von Algier in ihrem Kopf fransten aus, wurden brüchig, legten sich übereinander. Die Bilder von Lyon. Nur die wirren Gefühle blieben wach.
    »Stehst du endlich?«
    »Nein«, sagte Eley. »Egal.«
    »Fünfzig Millionen Dollar, Ralf?«
    »Und der Rückzug von Elbe aus Algerien.«
    Er schwieg, ließ sie warten. Plötzlich waren die Ahnungen da, irgendetwas geschah dort in Algier, geriet außer Kontrolle. Sie stützte die Ellbogen auf die Tischplatte, machte sich klein, die Hände auf den Hörmuscheln. »Ralf?«
    »Es kommt noch schlimmer: Wir wissen nicht, wer ihn hat.«
    Die Staatssekretärin war zu ihr getreten, blickte auf sie herab. »Es wird Zeit.«
    Die Direktorenrunde. Prinz hob eine Hand, gleich. »Was soll das heißen, Ralf?«
    »Dass es keine Islamisten waren. Keine Dschihadisten. Und Soudani weiß Bescheid. General Ibrahim Soudani, du erinnerst dich.«
    »Und die Bekenner-Mail?«
    »Gefakt.«
    »Gefakt?« Unwillkürlich dachte sie an 2003, die Sahara-Entführungen durch die GSPC , den AQM -Vorläufer. Sie war damals stellvertretende Leiterin des Nah-Ost-Referates 310 und nicht unmittelbar an der Krisenbewältigung beteiligt gewesen. Aber sie erinnerte sich gut daran, welche düsteren Vermutungen die Runde gemacht hatten, nicht zuletzt wegen der ungewöhnlichen Algier-Reisen der Minister Fischer und Schily sowie des BND - und des BKA -Präsidenten. Bis heute war der Verdacht nicht ausgeräumt, dass das algerische Militär und der Geheimdienst die Finger auf irgendeine Weise im Spiel gehabt hatten. »Ich habe eben mit dem Botschafter telefoniert, er …«
    Eley unterbrach sie. »Ich weiß, er ist anderer Meinung.«
    »Erklär mir das bitte.«
    »Kann ich nicht, ich habe keine Beweise.«
    Vielleicht, dachte sie, war Eley das Problem. Vielleicht geriet er außer Kontrolle.
    »Ich hab jetzt zu tun, Katharina.«
    »Warte.«
    Er fluchte, laut und unbeherrscht, sodass sie zusammenzuckte. Am Motorengeräusch erkannte sie, dass er angehalten hatte. Für einen Moment erklang ein hohes Summen, der Rückwärtsgang. Dann verstummte der Motor, Stille trat ein.
    »Was ist passiert, Ralf?«
    Sie hörte ihn atmen, hörte, wie der Atem allmählich ruhiger wurde.
    »Sie wissen von Amel und mir.«
    Sie waren die Letzten, die im Bismarckzimmer zur Direktorenkonferenz eintrafen. Die Staatssekretärin blieb bei einer

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