Ein paar Tage Licht
zu spät begriffen. Hatte zu spät begriffen, dass es längst ums Ganze ging. Kurz nach dem Gespräch mit Rigal war er ins »Zohra« aufgebrochen.
Er sah Toumi an, dessen Augen ruhig und unergründlich waren, nein, dachte er, eigentlich war es ganz einfach, sie zu lesen: Toumi wusste, was ihm durch den Kopf ging. Amel.
Toumi zog zwei einzelne Fotos aus der Innentasche und legte sie auf den Tisch. Eley mit Amel, unmittelbar nachdem sie das »Zohra« verlassen hatten. Amel, als sie hier unten die Tür aufschloss, wohl an diesem Morgen.
»Es ist mein Wunsch, mit Ihnen zusammenzuarbeiten«, sagte Toumi. »Als Zeichen meines Vertrauens werde ich die Observierung einstellen lassen.«
Eley brachte kein Wort heraus, nickte nur, der Blick auf den beiden letzten Fotos, Tränen in den Augen.
»Sie haben meine Telefonnummer.« Toumi stand auf. »Rufen Sie mich an. Mein Angebot gilt.«
33
BERLIN
Ein grauer Raum, unerträglich heiß, so heiß, dass ihr das Atmen schwerfiel. Auf dem Steinboden saß ein Mann, der ihr vage bekannt vorkam, blickte sie an, als wartete er auf eine Antwort. Er hatte etwas gesagt; was, war ihr nicht klar, oder sie hatte es mit dem Aufwachen vergessen.
Sie hatte lange nicht von Lyon geträumt.
Vorsichtig richtete sie sich auf, wie erschlagen nach nicht einmal drei Stunden Schlaf auf der Yogamatte.
Halb sechs, jenseits der deckenhohen Fenster Finsternis.
Sie hatte sich mitten im Wohnzimmer eine Insel auf dem Parkett gebaut, die blaue Matte, Arbeitsunterlagen, iPad, eine Dockingstation mit dem iPhone, das Tablett mit Teller und Besteck und Pizzaresten und einer leeren Flasche sizilianischem Syrah. Eine Rettungsinsel.
Sie ging ins Bad, kehrte auf die Yogamatte zurück, begann mit ihrer Praxis. Sie war steif, kraftlos, unkonzentriert. Nach einer Stunde, bei den Dropbacks, kamen die Tränen. Erst die Angst, dann die Tränen. Beim Kopfstand wurde alles für Momente gut.
Sie duschte, verließ die Wohnung mit der Insel und allem anderen, Michael, Lyon.
Für die Kinder war es zu früh, am Krankenbett saß niemand.
Heinrich Zimmermanns Atem ging regelmäßig, doch hin und wieder kam ein ungeduldiges, kehliges Röcheln, als wollte er endlich hier raus, zurückkehren in den Betrieb, der ihn fast umgebracht hätte. Seine Gesichtshaut war transparent, Adern schienen hindurch, ein Netz aus blauen Linien, gespenstisch. Die Augen waren geschlossen, öffneten sich nicht, als sie sich setzte, den Stuhl quietschend näherschob. Sein ernster Blick hätte ihr jetzt gutgetan. Ein paar Worte.
Ich sehe nicht, wohin das führen soll, Frau Prinz.
Sie haben dieses Leben gewollt, halten Sie sich also bitte an seine Regeln.
Vergessen Sie nicht, welche Verantwortung Sie tragen. Sie sind Repräsentantin eines Landes und seiner Menschen.
Sie hatte ihn enttäuscht, immer wieder, weil sie so anders war als er. Idealistischer, hartnäckiger, jünger. Eine Frau. Und weil sie die Ansicht vertrat, dass auch Diplomaten das Recht aufs Menschsein hatten. Niemandes Leben musste derart korsettiert verlaufen, dass er die eigene Persönlichkeit verlor.
Heinrich Zimmermann hatte die Enttäuschungen hingenommen, die nächsten einkalkuliert, sie weiter gefördert, weil er von ihren Fähigkeiten und ihrer Intelligenz überzeugt war. Gerade das, was sie von ihm unterschied, brachte Erfolg. Sie konnte skrupellos sein, wenn es darauf ankam, und konsequent bis an die Schmerzgrenze. Aber sie besaß auch ein Gespür für Befindlichkeiten, die eigenen und die anderer, im Gegensatz zu ihm.
Sie werden scheitern, hatte er gesagt, oder eines Tages einen Staatssekretär beerben .
Sie hatte sich, dachte sie, fürs Scheitern entschieden. Die letzten Monate in Algier hatten sie verändert. Die Nächte in Lyon Rigals dunklem Abgrund, wo sie einer Unbekannten begegnet war.
Sie sah auf Zimmermanns linke Hand hinab, die vor ihr auf der Bettdecke lag. Hier waren die Adern noch deutlicher zu erkennen. Die Finger waren gestreckt, nicht gekrümmt, eine letzte Kraftanstrengung des Körpers, der sich Lässigkeit nicht verzieh.
Sie hatte ihn nie berührt, ihm höchstens einmal die Hand gereicht. Alles, was ihre Beziehung ausmachte, wurde durch Worte, Mimik und Gestik transportiert. Man fiel Heinrich Zimmermann nicht spontan um den Hals, wenn eine Krise ausgestanden, ein Krieg zu Ende, eine Abstimmung gewonnen war. Er legte niemandem zum Trost oder zur Ermunterung die Hand auf die Schulter. Körperkontakt war ihm suspekt. Nähe. Weshalb, wusste sie
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