Ein paar Tage Licht
alten Passbild wirkte Phil verunsichert, die Augen fast besorgt. Lange dunkelblonde Haare, zum Zopf gebunden. Glatt rasiert, die Oberlippe stand ein bisschen vor. Ein fränkischer Späthippie, mochte man denken, der sich als Realschullehrer in der Provinz Mühe gab, Jahr für Jahr ein kleines Stückchen Welt zu retten. Ein harmloser, unbedeutender, mittelintelligenter Mensch. Ein Schauspieler, dachte Eley.
Er faltete die Kopien, betrat mit anderen den Lift, überließ sich dem Gefühl zunehmender Schwere, der Irritation des Gehirns, während die Kabine nach oben beschleunigte.
Im neunten Stock stieg er aus. Galerien führten um den weiten, rechteckigen Lichtschacht im Inneren des Gebäudes. Der Blick fiel hinunter bis in die Lobby, unten weißer Marmor, dunkelbraunes Leder, Grünpflanzen, ein Wirrwarr bunter, murmelnder Menschen und goldene Lampenschirme, die an zehn Stockwerke langen Stahlseilen hingen. Eine Handvoll Gäste kamen ihm entgegen, Geschäftsleute, eine Gruppe englischer Männer mit vom Alkohol aufgeschwemmten, von der Sonne geröteten Gesichtern, rochen nach Erdöl. Ein paar dezente Chinesen, die vielleicht den Bau der Großen Moschee in der Nähe des Flughafens oder der Ost-West-Autobahn überwachten, ihre vielen Tausend Landsleute auf Algeriens Großbaustellen. Niemand schien von ihm Notiz zu nehmen.
Das Schloss zu Suite 909 schnappte fast lautlos auf.
Ein großer Vorraum, links das Bad, leer, das Wohnzimmer mit Aussicht über die Bucht und den Jardin d’essai, auch hier niemand. Flüchtig registrierte Eley die Farben, während er leise zum Schlafzimmer hastete, Braun herrschte vor, die Lederbezüge und der Boden dunkel, die Vorhänge heller. Braun und ein buntes Chaos.
Auf der Türschwelle blieb er stehen. Er war allein.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück. Auf den Ablageflächen standen Flaschen und Gläser, zum Teil halb voll, Wasser, Champagner, Bier, Rotwein, Cola. Dazwischen lagen Essensrechnungen, Zeitungen, Papiermüll, leere Kaugummiblister, ein paar Quittungen, zusammengeknüllt, anschließend glatt gestrichen. Sie hatten algerischen Kitsch gekauft, in Tüten fand er Lederwaren und Berberschmuck, eine Handtasche, Keramikbecher.
Keine Unterlagen, kein Kalender, Laptop, Smartphone.
Der Schrank im Schlafzimmer war unbenutzt, die Schubladen leer, ebenso die Nachttischchen. Vor dem Fenster zwei geöffnete Koffer, Luxusdesign. Frisch- und Schmutzwäsche eines Mannes, einer Frau, ein kolossales Durcheinander.
Er kniete nieder, ging vorsichtig zu Werke, auch dem Chaos wohnte manchmal Ordnung inne. Auf dem Boden des einen Koffers wurde er fündig – ein verknitterter Computerausdruck, ein Plan des Zentrums von Tizi Ouzou in der Kabylei. Keine Markierungen, keine Notizen.
Er legte das Blatt zurück, suchte weiter.
In der Hosentasche einer zusammengeknüllten Frauenjeans knisterte Papier, ein Zettel. Zwei Nachnamen, zwei algerische Handynummern, im Stift war kaum noch Farbe gewesen, der Schreiber hatte mehrfach angesetzt, vielleicht bei einem Telefonat mitgeschrieben.
Der erste Name sagte Eley nichts, der zweite alles: Djamel Benmedi, Sadek Madjer.
Sie saßen an vier Tischen, Phil mit Giulia, die Bodyguards einzeln, einer direkt neben dem Chef, der zweite schräg gegenüber, ein Stück entfernt, abgewandt, der dritte. Zwei Amerikaner, ein Russe, vermutete Eley, ruhige, beherrschte Profis, fast unsichtbar.
Phil und Giulia dagegen sprachen ununterbrochen, lachten, gestikulierten, flirteten, als wären sie allein in der Welt des Sofitel. Auf dem Tisch stand eine Champagnerflasche, trotzdem dachte Eley an Koks, zu aufgedreht und eruptiv für Alkohol allein.
Er hatte an einem Zweiertisch Platz genommen, nicht nah genug, um etwas zu verstehen, abgesehen von gelegentlichen Rufen der beiden, Dio!, Non ci posso credere!, dem begeisterten Gelächter.
Er las El Watan , trank Espresso, versuchte, nicht an Toumi zu denken.
Toumi, dachte er.
Der Blick, als die Fotos von Amel auf dem Tisch gelegen hatten. Überlegen, machtbewusst, mit einem gewissen Bedauern. Noch nie hatte Eley sich einem Menschen so ausgeliefert gefühlt.
Rufen Sie mich an. Mein Angebot gilt.
Toumi und Soudani, spielten good cop, bad cop .
Vielleicht auch nicht, dachte er. Vielleicht war alles anders. Er musste das in Betracht ziehen.
Giulia stand auf, trat in den Gang zu den Toiletten. Einer der Amerikaner folgte ihr, ohne zu verbergen, dass er ihr folgte. Eley rechnete, kam auf siebenunddreißig, eine schmale, dunkelhaarige
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