Ein paar Tage Licht
der dauernden Bewegung, der Vorstellung, dass der Fluss niemals innehalten und zur Ruhe kommen würde. Wie Katharina Prinz.
Für Sekunden sah er ein schönes, weißes Gesicht im Fluss, die Lider geschlossen, die Beine lang. Etwas leuchtete gelb im Laternenschein, Streifen auf einem Sportpulliärmel. Erschrocken wandte er sich ab.
»Sie hat es an meinen Augen gesehen«, flüsterte Wiebke Ebert. »Sonst hätte sie sich hingesetzt und mit mir geplaudert. Aber das hat sie nicht getan. Sie stand und stellte Fragen. Sie weiß es.«
»Wann war sie da?«
»Von sechzehn Uhr dreißig bis sechzehn Uhr fünfundvierzig. Sie war auf dem Weg zu den ›Freunden Algeriens‹.« Eberts Stimme schoss eine Oktave nach oben. »Es ist vorbei! Sie werden mich hinausschmeißen und anzeigen! Das ist das Ende!«
Wegner suchte nach einer Antwort. Einer Floskel des Trosts. Fand keine in seinem Karussell fahrenden Kopf. »Nein, nein«, sagte er.
»Wenn ich nur hätte verreisen können«, flüsterte Wiebke Ebert stockend. »Ich hätte mich in Samoa verstecken können. Auf Fidschi. Dort hätte sie mich nicht gefunden.«
Für den Bruchteil einer Sekunde erwog Wegner, ihr die Wahrheit zu sagen. Fahren Sie, hätte er sagen können. Er hatte sich natürlich nicht die Mühe gemacht zu stornieren.
Wiebke Ebert nahm ihm die Entscheidung ab, indem sie auflegte.
»Die ganzen Lokalreporter da, du verstehst schon«, sagte Siegfried Berghammer im breitesten Schwäbisch.
»Natürlich«, sagte Wegner überrascht. Sie duzten sich?
Berghammer hatte einen Kellner nach draußen geschickt, um ihn zu holen. Der Kellner hatte zwanzig Euro und ein Augenzwinkern bekommen, Wegner einen neuerlichen Schock – ein Gespräch am Urinal einer Provinzgaststätte.
Sie stiegen die Treppe zu den Toiletten hinunter.
»Du bist blass, Reinhold, alles gut?«
»Alles gut, ja. Hübsche Ansprache, gratuliere. Siegfried.«
»Der Riehle hat vorhin angerufen. Die ›Freunde‹ sind fassungslos. Die Frau tickt aus, die ist wahnsinnig. Frauen ohne Kinder, ein Elend, da müssen sie kompensieren. Sich an der Welt rächen. Und dann säuft sie auch noch.«
»Sie säuft?«
»Ich werde nie verstehen, warum der Zimmermann sie befördert hat. Na ja, hab gehört, er hätte gern was mit ihr. Vielleicht hat er ja.« Berghammer hielt ihm die Toilettentür auf. Der Geruch von Provinzurin drang an seine Nase, Plätschern an sein Ohr.
Sie gingen durch den gekachelten Vorraum.
Vier Urinale, vor den mittleren beiden standen grüne Männer. Berghammer legte den Finger an die Lippen, öffnete mit der anderen Hand den Hosenstall der Tracht, während er nach rechts steuerte. Wegner wandte sich nach links. Das Plätschern verstärkte sich. Berghammer gab ein entspanntes »Ahhh« von sich.
»Lass’ schießen, Kumpel«, sagte einer der Männer lachend, schüttelte ab und verließ den Raum.
Berghammer rückte auf.
Der zweite Mann war fertig.
Berghammer rückte auf. Linste herüber. »Kommt nichts?«
»War gerade«, log Wegner. Gemeinsam urinieren hatte seinen Harndrang noch nie befördert. Er fühlte sich nackt, begutachtet, all dies war ihm zu intim, die Blase verweigerte sich.
Er schluckte. In seinem rechten Augenwinkel wippte ein unsagbar langes, dünnes, schlaffes weißes … Ding . Ja, dachte er, lang schon, aber so was wollte doch kein Mensch haben.
»Ahhhh, ach«, sagte Berghammer und legte den Kopf in den Nacken.
»Sie war bei meiner Informantin«, sagte Wegner. »Scheint was zu ahnen.«
»Höchste Eisenbahn.« Berghammer pinkelte noch immer lärmend, als hätte er gerade erst begonnen.
Wegner kapitulierte und zog den Reißverschluss zu.
Am Waschbecken seifte Berghammer sich die Hände ein. »Morgen steht sie groß in der Zeitung, richtig?«
»Ja.«
»Wird sie nicht aufhalten.« Er legte die Brille ab, wusch sich das Gesicht, fuhr sich mit der Hand über die kahle Kopfoberseite.
»Nein. Aber das Amt wird Konsequenzen ziehen.«
»Vielleicht. Wenn ja, dauert’s. Dann wollen sie erst mal Beweise sehen. Ein paar E-Mails, was ist das schon, wenn es um eine Abteilungsleitung geht.« Berghammer riss ein hellgrünes Papierquadrat aus dem Spender und legte es sich auf den Kopf. Das Papier sog sich mit Feuchtigkeit voll, schmiegte sich an seine Konturen. Fröhlich betrachtete er sich im Spiegel. »Das wär mal ein Pressefoto, was?«
»Was schlagen Sie … schlägst du vor?«
Berghammer nahm die Kopfbedeckung ab, zerknüllte sie für den Mülleimer. »Nichts. Da kümmern sich jetzt
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