Ein paar Tage Licht
andere drum.«
Andere?, dachte Wegner, und ein Schauer rieselte kühl von seinem Nacken die Wirbelsäule hinunter.
»Hör mal«, sagte Berghammer, während er die Tür aufhielt, »hab da was geflüstert bekommen.«
Der nächste Schock – die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die gegen Altniederndorf ermittelte, war nun auch auf ihn, Wegner, gestoßen und hatte Ermittlungen wegen Bestechung, Geheimnisverrats und Ähnlichem eingeleitet.
»Prinz?«, krächzte Wegner.
»Wer weiß? Vielleicht hat sie was angestoßen.« Berghammer klopfte ihm auf die Schulter, dann brachte er den Mund dicht an sein Ohr. »Aber jetzt ist das ja alles in den richtigen Händen.«
47
PESSIN
»Aziz?«, murmelte Benmedi. Ja, der Junge hatte damals oft von einem Aziz gesprochen, er war ihm wie vielen anderen auch begegnet, welcher war das gleich noch mal gewesen … Er kniff die Augen zusammen, bemühte sich, die Erinnerung heraufzubeschwören. Bologhine, das ockerfarbene Eckhaus mit den hohen Fenstern. Der Mouloud mit seiner silbernen Brille und dem sanften Lächeln, den Pausbacken.
Vater, ich erkläre dir das gern.
Ach, Mouloud, mir ist das so fremd, ich verstehe das nicht, und wenn du es mir hundertmal erklärst.
Benmedi griff nach einer Zigarette, blinzelte die Tränen weg.
Sie saßen einander am Küchentisch gegenüber, tranken Verbenentee. Benmedi hatte das Fenster geöffnet, Djamel sollte nicht im Rauch der Zigaretten ersticken. Kühl drang die Luft des Abends herein, während sich das Tageslicht allmählich verlor.
»Unser Torwart«, sagte Djamel.
»Euer Torwart.« Benmedi nickte. »So ein Kleiner, Lebendiger, war ein bisschen frech.«
Djamel lächelte. »Ist er immer noch.«
»›Sie müssen sehr reich sein, ya si-Mouloud ‹«, sagte Benmedi mit Jungenstimme, »›wenn Sie diesen Bauch jeden Tag zu Ihrer Zufriedenheit füllen können.‹«
Sie lachten.
»Aziz«, sagte Benmedi. »Wie ein fliegender Derwisch war der in eurem Tor.«
»Wenn er nur nicht so oft in die falsche Richtung geflogen wäre.«
»Und Aziz lebt also in Paris.«
»Seit vier Jahren.«
Er sei für ein paar Wochen bei Aziz, dem Freund aus Jugend- und Studententagen, hatte Djamel erzählt. Eine wunderbare Möglichkeit, den Großvater in Deutschland zu besuchen, und für Aziz Gelegenheit, ein paar Tage in Berlin zu verbringen.
Benmedi drückte die Zigarette aus, wollte vor Rührung gleich nach der nächsten greifen, ließ es dann. Er hatte zu viel geraucht in dieser Stunde mit Djamel, um der Nervosität Herr zu werden, und wurde mit jeder Zigarette nur noch nervöser. Sentimentaler.
Saß der Junge an seinem Küchentisch! Ein prächtiger Mann, schön wie ein Schauspieler aus einem Hollywoodfilm, die halblangen schwarzen Haare gelockt, die Augen groß und melancholisch und leidenschaftlich, ein bisschen zu ernst für einen Achtundzwanzigjährigen, zu wachsam, er strahlte etwas Dunkles aus, nichts Lichtes mehr wie damals als Elfjähriger in Bologhine. Und irgendwo in seinen vagen Gesten, seinem sparsamen Lächeln, der ruhigen Stimme hatte er auch den Mouloud mitgebracht.
Rasch wandte Benmedi sich dem Fenster zu, schluckte den Kloß hinunter. Auf der Straße sah er Robin, den Ball am Fuß. »Auch ein Fußballer. Pessins große Hoffnung.«
Djamel lächelte. »Wir sollten mit ihm spielen.«
»Ja. Wie lange bleibst du?«
»Bis Freitag.«
»Bis Freitag nur … Bleib doch länger, am Sonntagnachmittag spielt Robin mit seiner Mannschaft, ich sehe ihnen immer zu.«
Djamel schüttelte den Kopf. »Am Freitag muss ich fort, Großvater.«
Später aßen sie. Benmedi hatte am Montag wie immer eine Schüssel Kartoffelsalat zubereitet, die für die halbe Woche reichte. Das Rezept stammte von Paulines Eltern, ein wenig mittelscharfer Senf, Äpfel, Zucker, Zwiebeln, Schnittlauch und anderes, keine Mayonnaise, dafür Essig und Öl, gereicht mit frischem Brot, das Dani Janke ihm aus Friesack mitgebracht hatte. Dem Jungen schien es weder zu schmecken noch nicht zu schmecken. Er aß, als wäre Essen Notwendigkeit, nicht Genuss, tief über den Teller gebeugt, gedankenverloren.
»Und deine Mutter und die Großeltern?«
Djamel sah auf. »Die Großeltern sind gestorben, und Mutter lebt bei ihrer Schwester.«
Benmedi hatte fast keine Erinnerungen an Moulouds Witwe. Undeutlich sah er eine übergewichtige, wenig zufriedene Frau vor sich, aber er wusste nicht, ob er sie nicht mit jemandem verwechselte. »Wie geht es ihr?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe sie lange nicht
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