Ein perfekter Freund
war Fabios erste Frage.
»Im Landegg.«
Das Landegg war eine Badeanstalt am See, die in den letzten zwei Jahren zu einem Szenetreff geworden war. Das dazugehörige Restaurant war vom Mief der letzten fünfzig Jahre befreit und um eine Bar ergänzt worden, die auch außerhalb des Badebetriebs geöffnet war.
»Ein zufälliges Treffen?« wollte Fabio wissen.
»Natürlich. Ich verkehre sonst nicht in der alternativen Prosecco-Szene. Mein Boot hatte eine Panne. Du warst dort mit wie hieß sie?«
»Marlen?«
»Nein, die Schwarzhaarige.«
»Norina?«
»Ja, du warst mit Norina zusammen, ich mit Libellula.«
»Deine Frau?«
»Mein Motorboot.«
Der Kellner brachte Fredis Fettuccine. Einen großen Teller Nudeln mit gewürfeltem Gemüse und viel Rahm.
»Ich habe mich zu euch an die Bar gesetzt, bis der Werftmechaniker eintraf, und wir haben uns unterhalten. Solange es Norina zuließ.«
Fabio konnte sich gut vorstellen, wie Norina auf Fredi reagiert hatte.
»Ein paar Tage später hast du mich angerufen, und von da an haben wir uns ab und zu getroffen.«
»Zum Essen?«
»Essen, Trinken, Reden.«
»Worüber?«
»Über das Leben.« Fredi aß, die Ellbogen aufgestützt, in der Rechten die Gabel, in der Linken die Serviette, mit der er sich nach jedem Bissen den Mund abwischte. »Über Dinge, die dich früher nie interessierten.«
»Was für Dinge?«
»Geld, zum Beispiel.«
»Ich habe über Geld gesprochen?«
»Nicht direkt.« Fredi kaute, schluckte, wischte sich den Mund.
»Ich habe indirekt über Geld gesprochen?«
»Es hat dich nicht gestört, wenn ich darüber sprach. Im Gegenteil.«
»Im Gegenteil?«
Kauen, Schlucken, Mundabwischen. »Du hast Fragen gestellt.«
»Fragen übers Geldverdienen?«
Fredi schüttelte den Kopf. »Geldausgeben. Essen, Trinken, Wohnen, Reisen, teure Dinge. Frauen.«
»Frauen?«
»Frauen, Frauen, Frauen, Frauen.« Fredis Hand schob eine weitere Gabel Fettuccine in Fredis Mund.
»Du meinst Marlen?«
»Marlen im speziellen. Frauen im allgemeinen.« Fredi hatte den Teller leer. Er wischte sich noch einmal über den Mund und lehnte sich zurück. »Wenn du mich fragst: Du hattest die Nase voll von deiner Welt und suchtest jemanden, der dir eine andere zeigte.«
»Und fand dich?« Die Frage mußte ironisch geklungen haben, denn Fredis Antwort fiel etwas gehässig aus: »Als wir uns wiedersahen, warst du ein dreiunddreißigjähriger Spießer.«
Fabio wartete, bis der Kellner Fredis Teller abgeräumt und sein Glas nachgefüllt hatte. Dann fragte er: »Und danach, war ich da kein Spießer mehr?«
»Du warst auf dem Weg der Besserung.«
Nach dem Essen legte Fredi seine Agenda auf den Tisch und nannte Fabio die Daten, an denen sie sich getroffen hatten.
Zwei Einträge stimmten mit Fabios überein: Am 21. und am 28. Mai hatten sie sich hier im Bertini getroffen. Fabio hatte am Tag zuvor angerufen.
Aber danach fanden sich bei Fredi Einträge, die bei Fabio fehlten: Am 6. Juni hatten sie sich um achtzehn Uhr im Blue Nile getroffen, einem etwas halbseidenen Cocktail-Club, in dem man nur in Begleitung eines Mitglieds bedient wurde.
Am folgenden Samstagvormittag stand Fabio, Libellula. Am 14. Juni, genau eine Woche vor dem Ereignis, hatte Fredi um neunzehn Uhr dreißig geschrieben: Fabio, Marlen, Patrizia , Maison Rouge.
Das Maison Rouge war ein Viersternelokal etwas außerhalb der Stadt. Fabio war vorher noch nie dort gewesen. »Wer ist Patrizia?« hatte er gefragt.
Fredi lachte und antwo rtete: »Sie wird nicht glauben, daß ein Mann einen Schlag auf den Kopf überleben konnte, der so stark war, daß er sich danach nicht einmal mehr an sie erinnert.«
Das Bertini hatte sich langsam geleert. Fredi war nach dem Dessert, dem Ristretto und dem Grappa zum Bier übergegangen und hatte detailliert von Bootsausflügen, Herrenabenden im Blue Nile (die in Nightclubs geendet haben sollten) und von kulinarischen Höhenflügen in den Freßtempeln der näheren und weiteren Umgebung erzählt. Manchmal habe Fabio Marlen mitgenommen. »Und Norina?« hatte Fabio gefragt.
»Zum Glück nie«, hatte Fredi geantwortet.
Um drei Uhr hatte Fabio es aufgegeben, sich Notizen zu machen. Kurz vor fünf traten sie vom kühlen Bertini in die Hitze der Stadt.
Fabio war sich wieder ein Stück fremder geworden.
8
Am Wochenende stieg das Thermometer auf über dreißig Grad. Über dem Teer des Amselwegs flimmerte die Luft. In den Gärten war es still. Die Leute suchten Zuflucht in den abgedunkelten Zimmern
Weitere Kostenlose Bücher