Ein perfekter Freund
ihrer Häuser.
In Marlens kleiner Wohnung gab es keine Zuflucht. Egal, ob Sonnenstore und Jalousien unten waren oder Fenster und Türen offen, die Hitze hatte sich in allen Ecken und Winkeln festgesetzt.
Fabio störte sich daran, daß Marlen nackt herumlief. Die Vorstellung, daß in den Wohnungen über, unter, rechts und links von ihnen andere schwitzende Paare nackt oder halbnackt herumliefen, lenkte ihn von seinen Versuchen ab, ihrem Zauber wieder zu verfallen.
Am Sonntag ging er früh zum Briefkasten und holte den SONNTAG-MORGEN. Es war ein seltsames Gefü hl, die Zeitung, bei der er von Anfang an dabeigewesen war, wie ein Außenstehender zu lesen. Rufer hatte einen Leitartikel zur Hitzewelle geschrieben. Sogar bei diesem Thema brachte er es fertig, daß man sich am Ende fragte: Ist er nun dafür oder dagegen?
Lucas Jäger war mit einer Chronologie des Scheiterns der Klimakonferenz und einem Kommentar (mit Porträt) vertreten. Fabio überblätterte beides rasch.
Reto Berlauers erste Reportage im SONNTAG-MORGEN ging gleich über drei Seiten. Er hatte mehrere japanische Reisegruppen begleitet und beschrieben, wie militärisch diese organisiert und geführt wurden. Fabio zwang sich, die Geschichte zu lesen. Er würde es zwar nie zugeben, aber sie war gar nicht mal so verdammt schlecht geschrieben.
Der Kulturteil brachte einen Bericht über die Dreharbeiten zum Tee der drei alten Damen, der Verfilmung des als unverfilmbar geltenden ersten Krimmalromans von Friedrich Glauser. In diesen Tagen wurde in einer Villa am See gedreht. Ein Bild zeigte das Set: eine Art Altar, davor eine Gestalt, die in so etwas wie eine gelbglänzende Ku-Klux-Klan-Robe gekleidet war. Im Hintergrund ein paar Mitglieder der Filmcrew.
Etwas abseits stand eine junge Frau mit kurzen, schwarzen Haaren, die in ein Walkie-talkie sprach.
Norina.
Fabio legte die Zeitung beiseite und ging leise ins Schlafzimmer. Marlen lag auf der Seite, das untere Bein gestreckt, das obere angezogen. Er setzte sich ans Fußende und betrachtete sie.
»Schaust du dorthin, wo ich denke, daß du hinschaust?« murmelte sie verschlafen.
Als er das bestätigte, zog Marlen das Bein noch mehr an.
»Versuch dir vorzustellen, wir wären in der Karibik. So ist es leichter auszuhalten.« Sie lagen schweißglänzend auf dem Rücken, sorgfältig darauf bedacht, einander nicht zu berühren.
Fabio gab keine Antwort. Er stellte sich schon lange vor, er wäre woanders.
Jemand schaltete ein Radio an. Landlermusik. Fabio lachte.
»Karibik!«
»Wollen wir ins Landegg gehen?« fragte Marlen.
Fabio wußte sofort, daß er mit Marlen nicht im Landegg gesehen werden wollte.
»Heute sind alle im Landegg«, antwortete er.
»Und?«
»Ich will nicht hundertmal erklären müssen, was passiert ist.«
»Dann nicht ins Landegg. Aber sonst irgendwohin. Ich muß hier raus.«
Sie gingen in die Nachmittagsvorstellung des Palazzo. Titanic wurde gezeigt. Nicht gerade der neueste Film und nicht gerade Fabios Geschmack. Aber das Kino war klimatisiert, der Film dauerte über drei Stunden, und Leonardo di Caprio erfror im eiskalten Atlantik.
Als sie aus dem Kino traten, stießen sie auf eine Wand aus heißer Luft. Marlen hatte Tränen in den Augen. »Entschuldige«, schluchzte sie, »so idiotisch.«
Keine hundert Meter vom Palazzo lag das Outcast. Eine große Bar, in der man auch essen konnte. Sie war vor nicht allzu langer Zeit unter anderer Führung neu eröffnet worden und von Anfang an ein Erfolg gewesen. Auch dort wollte sich Fabio nicht mit Marlen zeigen.
Statt dessen führte er sie ein paar Häuser weiter in die Rebschere. Ein getäfeltes Weinlokal mit grünen Butzenscheiben, an dessen Tür »Klimatisiert!« stand.
Trotz des Schildes waren sie die einzigen Gäste. Sie setzten sich an einen Tisch in einer Nische. Eine dünne, grauhaarige Bedienung brachte die Nachmittagskarte. Sie trug ein hellblaues Wolljäckchen, so gut funktionierte die Klimaanlage. Marlen bestellte einen gespritzten Féchy, Fabio ein Mineralwasser.
»Wie heißt euer Lebensmittelingenieur, mit dem ich das Gespräch hatte?«
»Doktor Mark.«
»Glaubst du, du kannst mir noch einen Termin bei ihm vermitteln?«
»Ich denke schon.«
Die Frau brachte die Getränke.
»Er wird wissen wollen, zu welchem Thema.«
»Das will ich auch. Sag ihm, ich hätte noch ein paar Zusatzfragen zum Gespräch vom letzten Mal.«
Marlen nickte und trank einen Schluck.
»Ab wann warst du nicht mehr meine heimliche Affäre?« fragte
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