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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Fabio.
    »Ab Freitag, dem achten Juni, zirka dreiundzwanzig Uhr.«
    »Was war da passiert?«
    »Das Telefon hat geklingelt, eine Frau Kessler war am Apparat und wollte Herrn Rossi sprechen. Es sei dringend. Ich hab dir den Hörer gegeben. Du lagst neben mir im Bett.«
    »Du hast mir den Hörer gegeben?«
    »Ich konnte ja nicht wissen, wer Frau Kessler war. Ich dachte, es sei jemand aus der Redaktion.«
    »An einem Freitag? Um dreiundzwanzig Uhr? Quatsch!« Marlen nahm einen Schluck Wein. Als sie das Glas abstellte , hatte sie Tränen in den Augen.
    Fabio ignorierte sie und hoffte, daß sie von selbst wieder trockneten. Aber als er wieder hinschaute, war Marlens Gesicht tränennaß. »Entschuldige«, schluchzte sie und verließ den Tisch in Richtung Toilette.
    Er wartete. Jedesmal, wenn er aufsah, fing er einen vorwurfsvollen Blick der Bedienung ein. Nach fünf Minuten stand er auf. »Jetzt wäre dann gleich ich nachsehen gegangen«, murrte die Frau, als er an ihr vorbeiging.
    Als er die Damentoilette gefunden hatte, kam Marlen gerade aus der Tür. Sie weinte nicht mehr, aber sie sah aus, als sei dies ein labiler Zustand. »Können wir ein Taxi nehmen?« fragte sie.
    Kaum saßen sie im Fond, fing Marlen wieder an.
    »Der Film?« fragte Fabio.
    »Auch«, schluchzte sie.
    Er brachte Marlen ins Bett, hielt sie, bis sie sich in den Schlaf geweint hatte, und dachte an Norina.
    Montags schieben die Mitarbeiter von Sonntagszeitungen eine ruhige Kugel. Sarah Mathey war sofort einverstanden gewesen, als Fabio sie fragte, ob sie sich zum Mittagessen treffen könnten.
    Fabio hatte um neun Uhr Krafttraining. Jay quälte ihn ohne Rücksicht auf die Hitze und verbot ihm, nach dem Training kalt zu duschen. »Es sei denn, du willst eine Muskelzerrung.«
    Schon auf dem Weg zum Biotop versuchte Fabio, sich den Namen der Kellnerin in Erinnerung zu rufen. Macht nichts, war sein Stichwort. Fa niente. Dolcefarniente. Nackt am Pool mit einem Himbeereis. Yvonne Dolcefarniente? Genau. So hieß sie.
    Er war eine halbe Stunde zu früh. Yvonne Dolcefarniente hatte ihren freien Tag. Ein junger Mann bediente ihn. »Ciao«, sagte er, »heiß.« Fabio wußte nicht, ob er ihn kennen müßte. Im Biotop wurde man rasch geduzt.
    Er trank ein Tonic und versuchte, sich nicht zu bewegen. Die Hitze und die Nachwirkungen des Krafttrainings ließen ihn immer wieder in Schweiß ausbrechen.
    Er sah Sarah Mathey von weitem kommen. Sie trug ein übergroßes weiß-blau gestreiftes Herrenhemd über einer zu eng gewordenen Khakihose. Sie schleppte ihre abgewetzte, ausgebeulte Handtasche mit sich, ohne die er sie noch nie gesehen hatte. Als sie ihn entdeckte, steckte sie ihre brennende Zigarette zwischen die Lippen und winkte ihm zu. Sarah war eine der letzten Frauen um die Sechzig, die auf der Straße rauchten.
    »Wie fühlst du dich?« erkundigte sie sich mit ihrer tiefen Stimme, als sie sich gesetzt hatte.
    »Beschissen«, antwortete Fabio.
    »Erzähl.«
    Fabio versuchte in Worte zu fassen, wie er sich fühlte. Orientierungslos. Betrogen. Bestohlen. Verraten. Fremd. Heimatlos. Allein. Im Stich gelassen. Ausgestoßen.
    Der Bericht geriet ihm ausführlicher als vorgesehen. Das ging allen so mit Sarah Mathey. Sie brachte die Leute zum Reden, indem sie zuhörte.
    Sie hatten beide ihre großen Salatteller leer gegessen, als Fabio zum Schluß kam: »Ich taste mich wie ein Blinder durch die Finsternis meines Gedächtnisses«, sagte er. »Und keiner der Sehenden hilft mir, mich zurechtzufinden. Kannst du mir erklären, warum?«
    »Willst du eine ehrliche Antwort?« fragte Sarah.
    »Sonst hätte ich jemand anderen gefragt.«
    Sarah kramte ihre Zigaretten aus der Tasche. »Dem Fabio, an den du dich erinnerst, hätten alle geholfen. Aber der, den du vergessen hast, war ein ziemliches Arschloch - entschuldige den Ausdruck.«
    »Inwiefern?« Es glückte Fabio einigermaßen, nicht pikiert zu klingen.
    »Der vergessene Fabio kam nach der Arbeit nicht noch auf ein Glas mit den Kollegen. Er war im Bootsclub verabredet oder im Blue Nile. Er kam nur noch in die Redaktion, wenn es absolut nötig war, und ließ uns seine Herablassung spüren. Er brauchte Wochen für eine mittelmäßige Geschichte über Lokführer, wollte jedoch gefeiert werden wie ein großer Star. Er sprang nie mehr ein, wenn Not am Mann war, und versteckte sich hinter einem Projekt, von dem niemand mehr wußte, als daß es eine ›ganz große Sache‹ sei. Er betrog seine Freundin mit einer kleinen PR-Blondine und

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