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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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es nicht getan.« Fabio hatte ihn gekürzt, damit er griffiger klang.
    Eine weitere Kassette enthielt Gespräche mit anderen Lokführern. Auch in ihnen fand er keinen Hinweis auf die ganz große Sache. Die restlichen Bänder stammten von älteren Reportagen.
    Als Fabio den Schreibtisch aufzuräumen begann, kam Marlen zur Tür herein. »Es will regnen, aber es kann nicht«, stöhnte sie, legte von hinten die Arme um Fabio, beugte sich über ihn und küßte ihn auf die Stirn.
    Dann verschwand sie im Bad. Er hörte die Dusche. Nach einer Weile ging die Tür auf. Marlen ging in ihrem blaßroten seidenen Schlafrock durch den Raum ins Schlafzimmer. Es dauerte lange, bis sie wieder herauskam. Sie war geschminkt und trug einen Hüftgürtel, Strümpfe, String-Tanga und BH, alles in Weiß.
    Für jemanden, der nie viel für Strapse und Mieder übrig gehabt hatte, ließ er sich jetzt viel Zeit, um Marlen davon zu befreien.
    Vor dem Einschlafen fragte er sich, ob Norina für Lucas wohl auch manchmal den mausgrauen durchsichtigen Body anzog, mit den zwei Druckknöpfen im Schritt.
    Das Gewitter war nicht ausgebrochen. Am Morgen war der Himmel wolkenlos. In den Nachrichten wurde zum sparsamen Umgang mit Wasser aufgerufen. Rasensprengen und Autowaschen seien zu unterlassen.
    Bevor Fabio aus dem Haus ging, rief er Dr. Mark an. Wieder meldete sich die Sekretärin, wieder versprach sie, er würde zurückrufen.
    In der Physiotherapie kümmerte sich diesmal Katja Schnell persönlich um ihn. Gleichgewichts und Koordinationstraining standen auf dem Programm. Fabio erhielt ein rundes Brett, auf dessen Unterseite eine Halbkugel befestigt war. Er mußte sich darauf stellen und es in der Waage halten. Es gelang ihm nur mit großer Mühe.
    Die kleine Frau beobachtete ihn eine Weile schweigend.
    »Hatten Sie mir nicht gesagt, Sie seien früher mit dem Rad zur Arbeit gefahren?«
    Fabio verließ die wacklige Unterlage. »Ich bin mit dem Rad hier.«
    »Lassen Sie das vorläufig bleiben. Schon von Tai Chi gehört?«
    »Dieser Zeitlupenkampfsport? Doch, schon gesehen. Sieht ziemlich doof aus.«
    »Nicht so doof wie Vom-Rad-Fallen.«
    Als Fabio das Therapiezentrum am Kaltbachweg 19 verließ, hatte er einen Tai-Chi-Termin für den nächsten Mittwoch.
    Dr. Vogel sah an diesem Vormittag tatsächlich aus wie ein Nilpferd. Eines, das soeben das Wasser verlassen hatte. Sein weites Batikhemd klebte trotz der Klimaanlage an seinem Torso.
    »Das hier«, keuchte er und zeigte mit einem dicken Zeigefinger auf seinen Körper wie auf einen fremden Gegenstand, »speichert auf den paar Metern zwischen klimatisiertem Auto und klimatisiertem Sprechzimmer genug Hitze, um mich den Rest des Tages am Schwitzen zu halten. Wie geht es Ihnen?«
    »Gleichgewichtsstörungen. Ist das normal?«
    »Wie äußert sich das?«
    »Unsicher auf dem Rad.«
    »Seit wann?«
    »Seit ich wieder Rad fahre.«
    »Lassen Sie es bleiben, es ist sowieso zu heiß.«
    »Die Therapeutin will mich ins Tai Chi schicken.«
    »Kann nichts schaden. Sie müssen Ihre Mitte wiederfinden. Und sonst?«
    Fabio berichtete dem reglos in seinem Spezialsessel sitzenden Fettberg vom zweifachen Verlust seiner Erinnerungen. Den im Kopf gespeicherten und den aufgezeichneten.
    Plötzlich hörte er sich erzählen. Von Marlen, der Fremden, für die er alles aufgegeben hatte und mit der er zusammenlebte. Und von Norina, die er verlassen hatte. Norina, die nichts mehr von ihm wissen wollte. Norina, an die er immer denken mußte. Norina, die ihn mit seinem besten Freund betrog. Norina, seine große Liebe.
    Zweimal schaute Dr. Vogel demonstrativ auf die Uhr, ohne daß Fabio Anstalten machte, sein Klagelied abzubrechen. Erst als der Doktor die Klingel unter der Tischplatte ertastete und kurz darauf die Praxishilfe unter einem Vorwand hereinkam, merkte Fabio, daß seine Sprechzeit abgelaufen war.
    Auf dem Trottoir herrschte ein Gedränge wie auf der Passeggiata von Rimini abends um zehn im August. Die Berufstätigen hatten Mittagspause und flanierten wie Touristen.
    Jedes Restaurant, jedes Cafe, jede Bäckerei, jeder Kiosk hatte ein paar Tische hinausgestellt.
    Vielleicht, dachte Fabio, sollte er ein paar Tage nach Urbino zu seiner Mutter. Er hatte Dr. Vogels Rat befolgt, sein Rad in den Keller unter der Praxis abgestellt und sich zu Fuß auf den Weg gemacht.
    Der Strom der Promenierenden spülte ihn an den Landungssteg. Er kaufte sich eine Karte für eine Seerundfahrt und fand sich wenig später an einem Tisch auf dem Oberdeck

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