Ein perfekter Freund
interne Mitteilungen, nur ältere Anschaffungen aus dem Kunstfonds des Unternehmens.
An der letzten Tür stand: »Dr. Klaus Mark, Leiter Produktentwicklung.«
Fabio klopfte zweimal. Als niemand reagierte, öffnete er die Tür. Ein leeres Vorzimmer.
Eine Stimme rief: »Kommen Sie rein!« Sie kam aus einem anderen Raum, dessen Tür halb offenstand. Fabio trat ein.
Ein großes Eckbüro mit zwei Fensterfronten. Ein aufgeräumter Schreibtisch mit nichts als einem Flachbildschirm und einer Tastatur, davor ein gepolsterter Chefsessel. An die Schmalseite des Schreibtischs schloß sich ein Besprechungstisch für vier Personen an. Vor einer der Fensterfronten stand eine Sitzgruppe. Englische Clubsessel aus künstlich gealtertem Leder.
Auf dem Sofa, die Beine übereinandergeschlagen, saß Dr. Mark. »Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte er lächelnd und deutete auf einen Sessel ihm gegenüber. Fabio setzte sich.
Dr. Marks Augen waren von verwaschenem Blau, Wimpern und Brauen vom gleichen vagen Gelb wie das sorgfältig gekämmte, feine Haar, das sich am Hinterkopf lichtete. Die Haut an Gesicht und Händen war wächsern und farblos. Fabio fielen die Fingernägel auf: Die Halbmöndchen ihrer Nagelbetten waren sorgfältig freigelegt. Sie schimmerten wie ein liebevoll polierter Oldtimer. Sie waren blitzsauber und zu Spitzen gefeilt, die scharf wie Rasierklingen sein mußten. Fabio hatte sich Dr. Mark anders vorgestellt.
»Eine halbe Stunde, wie abgemacht. Um spätestens halb sieben muß ich hier weg. Was möchten Sie wissen?«
Fabio packte seinen Recorder aus. »Stört es Sie?« Dr. Mark schüttelte den Kopf. Fabio schaltete auf Aufnahme.
»Ich weiß nicht, ob Sie darüber informiert sind, daß ich einen Unfall hatte, an dessen Hergang ich mich nicht erinnern kann.«
»Ich hatte keine Ahnung.«
»In diesem Zusammenhang kamen mir einige Unterlagen und Daten abhanden. Unter anderem auch Teile unseres Gesprächs.«
»Ein Unfall, bei dem Ihnen Unterlagen abhanden gekommen sind?«
»Unfall, Überfall, die Untersuchungen laufen noch.«
»Verstehe. Um welche Teile unseres Gesprächs ha ndelt es sich?«
Fabios Antwort kam ohne Zögern: »Die, die Doktor Barths Untersuchungen betreffen.«
Ohne zu blinzeln, schaute ihm Dr. Mark in die Augen.
»Barth?«
»Lebensmittelkontrolleur bei der LABAG.«
»Sagt mir nichts, der Name. Worum geht es bei diesen Untersuchungen?«
»Prionen in Lebensmitteln.«
»Das ist allerdings ein Thema. Aber ich kann mich nicht erinnern, mit Ihnen darüber gesprochen zu haben. Unter welchem Aspekt denn?«
»Barth hat ein Testverfahren entwickelt, mit dem man Prionen in kleinen Mengen nachweisen kann.«
Dr. Mark lachte auf. »Davon hätte ich gehört. Danach suchen wir alle. Ihr Doktor Barth wäre ein gemachter Mann.«
»Mein Doktor Barth ist tot.«
»Ach, was ist passiert?«
»Er hat sich umgebracht.«
»Sehen Sie, ich hatte recht.« Er war wieder ernst. »Einer, der heute kleine Mengen Prionen in Lebensmitteln nachweisen kann, hat keinen Grund, sich umzubringen.«
Auf dem Couchtisch lag ein Stoß Papiere. Dr. Mark zog ihn zu sich heran. »Verzeihen Sie die etwas indiskrete Frage, Herr Rossi: Hat Ihr Gedächtnis auch sonst unter dem… ehm… Zwischenfall gelitten?«
Fabio ging nicht darauf ein. »Sie erinnern sich also nicht an diesen Teil unseres Gesprächs?«
»Es hat nicht stattgefunden, Herr Rossi.« Er durchblätterte die Papiere und zog einen bunten Prospekt heraus. »Functional Food« stand in Lettern aus verschiedenen Lebensmitteln darauf.
»Den kennen Sie wahrscheinlich noch nicht, er war damals noch nicht gedruckt. Eine ganz nützliche Zusammenfassung unseres Gesprächs von damals. Ihr Journalisten stellt euch unter Functional Food immer Essen in Pillenform oder Käsemakkaroni am Stiel vor. Dabei geht es um andere Dinge: die Erweiterung der Liste von achtundzwanzig Vitaminen und Mineralien um weitere lebenswichtige Nährstoffe. Zum Beispiel Omega-3-Fettsäuren, die man in Fischen findet, oder sogenannte Oligosaccharide, komplexe Kohlehydrate, die die Darmflora unterstützen, und so weiter. Functional Food sind Lebensmittel, die mit geborgten Nährstoffen anderer Lebensmittel angereichert sind. Milch mit Ballaststoffen, Orangensaft mit Kalzium und so weiter. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt.«
Dr. Mark reichte ihm den Prospekt. »Nehmen Sie, da steht alles drin.«
Er ging die übrigen Unterlagen durch. Es waren Pressebulletins, Exposés, Produktaufnahmen, Kopien vo n
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