Ein perfekter Freund
gemerkt.«
»Wie?«
»Für die alten Daten auf dem Computer gab es eine Erklärung: Du hattest schon lange kein Backup für dein Handheld gemacht. Aber dafür, daß auf deinem Handheld so lange keine neuen Daten hereingekommen waren, gab es keine Erklärung.«
Fabio brauchte einen Moment, um den Gedanken nachzuvollziehen. »Daran hat Lucas nicht gedacht?«
»Es fiel mir erst ein, als er schon weg war.«
»Und weshalb hast du es versteckt? Weshalb hast du es nicht einfach weggeschmissen?«
»Ich schmeiß doch nichts weg, was fast tausend Franken kostet.«
Fabio befiel ein seltsames Gefühl. Als ob er auf Schaumgummi stehen würde. Er mußte sich setzen.
Der Speichel lief ihm im Mund zusammen, und er begann schwer zu atmen. Er stand auf, wankte ins Bad, kniete sich vor der WC-Schüssel nieder und übergab sich. Ein Kaninchen, eine Zabaglione, drei Gläser Barolo, sechs Grappa und die Bestätigung seines Verdachts waren mehr, als sein Magen verkraftete.
14
Fabio hob den Kopf. Ein stechender Schmerz fuhr ihm in die Schläfen, die Augenhöhlen, die Schultern und die Wirbelsäule.
Er öffnete die Augen und versuchte, sich zurechtzufinden. Draußen war es noch nicht ganz Tag. Aber die Luft, die durch die offene Balkontür hereinkam, war schon heiß. Er lag angekleidet auf dem Sofa, den Kopf seitlich abgewinkelt auf der Armlehne.
Ganz vo rsichtig richtete er sich auf. In seinem Schädel schlug ein Hammer auf einen empfindlichen Nerv. Sein linker Arm war eingeschlafen. Er berührte die rechte Gesichtshälfte. Die Hand spürte das Gesicht nicht, das Gesicht spürte die Hand nicht.
Was war gestern geschehen? Marlen hatte zugegeben, Lucas' Komplizin zu sein.
Überall lagen Kleider, auf dem Schreibtisch klaffte sein halbvoller Koffer, am Boden quoll sein schwarzer Taschenrucksack über.
Jetzt fiel es ihm wieder ein: Er hatte gekotzt und danach weitergestritten, und irgendwie hatte es damit geendet, daß er auf der Stelle ausziehen wollte. Mußte? Wollte.
Das Gefühl krabbelte langsam in seinen Arm zurück. Er massierte sich den Nacken mit beiden Händen, legte den Kopf weit zurück, drehte ihn nach rechts, nach links, senkte das Kinn, bis er spürte, wie sich die Nackenmuskeln dehnten.
Er atmete fünfzigmal ruhig und regelmäßig ein und aus, ein und aus und versuchte, sich nur darauf zu konzentrieren, während das Geschwätz in seinem Kopf wieder losging. Immer die gleichen Sätze, Gedankenfetzen, Namen.
Er stand auf, ging zum Kühlschrank, fand kein Mineralwasser, füllte ein Glas mit lauwarmem Leitungswasser und trank es leer.
Die Tür zum Schlafzimmer war geschlossen, trotz der Hitze der Nacht. Fabio stand auf und ging darauf zu. Er streckte die Hand nach der Türklinke aus, überlegte es sich und ging ins Badezimmer. Als er sich im Spiegel betrachtete, erhielt er einen Eindruck davon, wie er mit fünfzig aussehen würde.
Er drehte den Wasserhahn auf und badete das Gesicht in seinen Handflächen.
Danach fühlte er sich nicht besser. Er wollte den Geschmack im Mund loswerden, aber er fand seine Zahnbürste nicht. Auch sein Rasierzeug war weg. Er hatte den Waschbeutel schon gepackt.
Er drückte etwas von Marlens Zahnpasta auf den Zeigefinger, steckte ihn in den Mund, rieb auf den Zähnen herum und spülte mit Wasser nach.
Er fuhr sich mit den nassen Fingern durch die Haare.
So erfrischt, ging er wieder zur Schlafzimmertür und drückte leise die Klinke hinunter.
Die Tür war verschlossen.
Alles deutete auf ein tieferes Zerwürfnis hin, als er es in Erinnerung hatte und - angesichts des neuen Tages - für angemessen hielt.
Fabio hatte sich auf das Sofa gesetzt und überlegt, wie er sich verhalten solle, wenn Marlen aus dem Zimmer kam: Abwartend? Kühl? Gleichgültig? Versöhnlich? Sarkastisch?
Darüber war er eingeschlafen. Als er von Marlens »Ach, noch hier?« geweckt wurde, hatte sich die Frage erübrigt.
Marlen verzog sich ohne ein weiteres Wort ins Bad. Als sie wieder herauskam und im Schlafzimmer verschwand, würdigte sie ihn keines Blickes.
Erst als sie in einem kurzen Rock und einem luftigen Leinentop aus dem Zimmer kam, blieb sie kurz stehen, schaute ihn kühl an und sagte: »Ciao.«
»Ciao«, sagte auch Fabio.
»Wirfst du dann den Schlüssel in den Briefkasten?« Fabio nickte, Marlen verließ die Wohnung.
Weshalb sehen Frauen in diesen Momenten immer am besten aus? fragte er sich.
Als erstes rief er bei Norina an. Er erreichte sie nicht. Auf ihrem Handy hinterließ er eine Nachricht:
Weitere Kostenlose Bücher