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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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erst vor seiner Nachbartür verlor.
    »Ich dachte, Sie wollen erinnern, nicht vergessen«, sagte Dr. Vogel vorwurfsvoll. Fabio hatte den Fehler gemacht, ihm von seiner Grappa-Degustation zu erzählen. »Saufen tut man, um den Bezug zur Realität zu verlieren. Nicht, um ihn zu finden.«
    Auch Fabios Trennung von Marlen gefiel ihm nicht. »Was Sie brauchen, sind geordnete Verhältnisse, Herr Rossi. Wenn Sie leben wie ein verwahrloster Junggeselle, erreichen Sie das Gegenteil. Versöhnen Sie sich mit Ihrer Freundin. Arbeiten Sie. Werden Sie erwachsen.«
    Beim Gedächtnistraining machte Fabio eine schlechte Figur. Er mußte sich zwanzig Baudenkmäler merken, und als er daran gescheitert war, einen Ablauf von vierundzwanzig Bildern in die richtige Reihenfo lge bringen. Er hatte den Eindruck, Dr. Vogel habe sich besonders schwierige Übungen ausgesucht.
    Nachdem er Dr. Vogels weiche, feuchte Hand zum Abschied geschüttelt hatte, fragte er: »Können Sie sich vorstellen, daß ein zweiundfünfzigjähriger Wissenschaftler sich vor den Zug wirft, nur weil man ihm eine Aufgabe wegnimmt?«
    »Wenn er suizidgefährdet ist, genügt schon ein geringerer Anlaß.«
    »Und wenn nicht?«
    »Reicht es wohl nicht ganz.«
    Als Fabio ins Apartment zurückkam, war die Tür offen, und ein Putzwagen stand davor. Eine ältere Frau stand im Zimmer.
    »Was machen Sie hier?« fragte Fabio.
    »Zimmer«, antwortete die Frau.
    Jetzt fiel Fabio ein, daß Fredi erwähnt hatte, die Zimmer würden gemacht. »Kann ich Ihnen auch die Wäsche geben?«
    »Ja, aber teuer.«
    »Wie teuer?«
    »Privat ist billiger.«
    »Und was ist schneller?«
    »Privat.«
    Als die Frau Bett und Bad gemacht hatte, gab er ihr seine Wäsche, und sie versprach, die Hälfte bis morgen zu liefern.
    »Bin Frau Micic«, sagte sie, als sie das Apartment verließ.
    Im Apartment roch es noch immer nach Staubsauger, obwohl Frau Micic keinen benützt hatte. Fabio setzte sich an den Schreibtisch. »Arbeiten Sie«, hatte Dr. Vogel gesagt.
    Er ackerte sich durch die Unterlagen, die ihm Dr. Mark mitgegeben hatte. Viel Euphorisches über die neuen Möglichkeiten, die Natur zu verbessern. Fabio konnte nicht glauben, daß er sich für das Thema interessiert hätte, wenn nicht noch etwas anderes dahintersteckte. Und solange er keine bessere Vermutung hatte, ging er davon aus, daß es mit Dr. Barths Erkenntnissen zu tun hatte.
    Aber was konnten Barths Erkenntnisse mit Functional Food zu tun haben?
    Nach einer Stunde stieß er auf einen Ansatz: Einige der Produkte waren außer mit Fasern, Vitaminen, Mineralstoffen und Kalzium auch mit Eiweißen angereichert. Und Prionen, hatte er gelernt, waren nichts anderes als falsch gewickelte tierische Eiweiße.
    In den Unterlagen war nichts über die Herkunft der Eiweiße zu finden, mit denen die Produkte angereichert waren. Fabio schaltete sein Powerbook ein und begann, im Internet zu suchen.
    Er stieß bald auf Quellen, die nicht ausschlossen, daß Proteinnahrung für Bodybuilder tierische Fette unbestimmter Herkunft, also Risikomaterial, also Prionen, enthalten könnten.
    Er wählte Dr. Marks direkte Nummer. Nicht, daß er sich von ihm eine brauchbare Information versprach. Er wollte nur hören, wie er reagierte.
    Bereits nach dem zweiten Klingeln meldete sich die Zentrale.
    »Ich hatte Doktor Marks Durchwahl eingestellt«, sagte Fabio.
    »Herr Doktor Mark ist die ganze Woche im Ausland.«
    »Gestern war er noch hier.«
    »Nein, er ist am Sonntag geflogen.«
    »Ich habe doch mit ihm gesprochen.«
    »Ich auch. Mehrmals. Am Telefon. In Chicago. Kann ich Sie mit jemand anderem verbinden?«
    Beinahe hätte er gesagt: Ja, mit Frau Marlen Berger. Aber dann sagte er: »Nein, danke« und legte auf.
    Mit wem hatte er gesprochen, wenn nicht mit Dr. Mark?
    Er loggte sich wieder ins Internet. Unter dem Suchbegriff »+LEMIEUX +Organisation« stieß er bald auf das Organigramm des Hauptsitzes. Die Führungspositionen waren mit Fotos versehen. Auch wenn die Herren sich sehr glichen, war bei »Dr. Klaus Mark, Head Product Development« keine Verwechslung möglich. Er hatte dichtes schwarzes Haar und buschige Augenbrauen.
    Jemand, der dem Dr. Mark, den er kannte, ähnlich sah, war nicht zu entdecken.
    Gerade als Fabio aus dem Haus gehen wollte, klingelte es. Er drückte auf die Sprechtaste der Gegensprechanlage und sagte:
    »Ja?«
    Nur der Verkehr der Sternstraße war zu hören. »Hallo?« sagte er, etwas lauter.
    Es klopfte an der Tür. Fabio linste durch den Spion.

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