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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Sie enthielten Prionen. Er testete andere Packungen des gleichen Produkts. Mit dem gleichen Resultat. Er testete andere Produktionsserien des gleichen Produkts. Mit dem gleichen Resultat.
    Er testete andere Schokoriegel der gleichen Marke. Gleiches Resultat.
    Er testete andere Schokoladenprodukte des gleichen Herstellers. Gleiches Resultat.
    Dr. Barths erster Verdacht fiel auf die Milch. Milch galt bis zum jetzigen Zeitpunkt als sicher. Noch nie war es gelungen, Prionen in Milch nachzuweisen. Aber für die Herstellung von Schokolade wird Milchpulver verwendet. Bei der Herstellung von Milchpulver kann ihr Fettgehalt durch Beispritzung von Milchfetten erhöht werden. Oder von anderen Fetten.
    Dr. Barth fand Hinweise darauf, daß für die prionenpositiven Schokoriegel Milchpulver verwendet wurde, das - versehentlich oder aus wirtschaftlichen Gründen - mit Rindertalg fetter gemacht worden war. Rindertalg wird aus Schlachtabfällen hergestellt.
    Aus den Unterlagen - zum größten Teil genaue Laboraufzeichnungen und Testresultate - geht hervor, daß sich Dr. Barth mit der Herstellerfirma, in Verbindung gesetzt hatte.
    Was ihn schließlich zu seinem tragischen Entschluß getrieben hat, geht aus den Unterlagen nicht hervor.
    Beim ersten prionenpositiven Schokoriegel handelt es sich um Chocofit von LEMIEUX, dem drittgrößten Schokoladenhersteller der Welt. Mit seinem Spezialgebiet, der Industrieschokolade, liegt LEMIEUX sogar auf Platz zwei. Jede dritte Tafel, jeder dritte Riegel, die wir essen, stammt aus der Produktion von LEMIEUX. Und wir essen viel Schokolade. Die Europäer im Durchschnitt beinahe sieben Kilo pro Kopf im Jahr. Die Schweizer sogar beinahe zwölf.
    Wann haben Sie das letzte Mal LEMIEUX-Schokolade gegessen?
    »Du?« sagte eine Stimme hinter ihm. Fabio erschrak. Er hatte Samantha vergessen.
    »Chéri?«
    Er wandte sich um. Ihr Sarong war hochgerutscht. Er sah ihre sorgfältig getrimmten, krausen Schamhaare. »On fait l'amour?«
    Fabio schüttelte den Kopf.
    »Gratis.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Warum nicht?«
    Fabio dachte an Norina und Lucas, an Marlen und das Latino-Bärtchen und fand keinen triftigen Grund.
    Seit er im Krankenhaus erwacht war, brauchte er bei jedem Erwachen einen Moment, um zu wissen, wo er sich befand. Er war jedesmal erleichtert, wenn es nicht das Krankenhaus war.
    Diesmal war er sich nic ht sicher. Es roch nach Krankenhaus. Vorsichtig öffnete er die Augen. Er lag im Halbdunkel. Es war heiß. Das Fenster stand offen. Draußen war es Nacht. An der Zimmerdecke reflektierten farbige Lichter. Verkehrslärm drang herein. Er war nackt und schweißbedeckt. Neben ihm, zusammengerollt, den Daumen im Mund, lag das schwarze Mädchen. Fabio fand keine Erinnerungshilfe für ihren Namen. Etwas mit vielen A. Anastasia, Amalia, Amapola.
    Sie roch nach Alkohol. Sie hatte keine Fahne nach Wein, Schnaps, Champagner oder Bier. Sie roch nach reinem Alkohol, wie ihn Ärzte und Krankenhäuser benutzten. Der Rum, mit dem sie ihre Cola aufgepeppt hatte, mußte hochprozentig gewesen sein. Rum aus Guadeloupe. Jetzt fiel ihm auch der Name wieder ein: Samantha. Samantha aus Guadeloupe.
    Sie schlug die Augen auf, sagte: »Merde«, und war schon auf den Beinen.
    »Wieviel Uhr ist es?« fragte sie, während sie den Sarong um sich schlang.
    Fabio knipste die Nachttischlampe an und schaute auf die Uhr. »Zwanzig vor zehn.«
    »Merde«, sagte sie wieder. »Warum hast du mich nicht geweckt? Ich fange um neun Uhr an.«
    »Bin auch gerade wach geworden«, rechtfertigte sich Fabio. Samantha war schon aus dem Zimmer.
    Was war mit ihm los? Er hatte den Schlüssel zu dem Geheimnis gefunden, das ihn seit Wochen umtrieb, und was tat er als erstes? Er schlief mit einer Stripperin.
    Die große Sache existierte. Sie war größer, als er es sich hatte träumen lassen. Warum hatte er die verbliebenen Stunden des Nachmittags nicht dazu genutzt, etwas zu unternehmen?
    Fabio stellte sich unter die Dusche und ließ den unsteten Wasserstrahl - heiß, kalt, schwach, stark - über seinen Körper laufen.
    Samantha hatte ein wohliges Gefühl in seinem Körper hinterlassen. Was hätte er denn unternehmen sollen? Anrufe machen? Leute mit seiner Entdeckung konfrontieren? Recherchieren?
    Solange Dr. Barths Dokumente verschwunden blieben, war sein Text so wertlos wie irgendeine unbewiesene Behauptung. Nur gewagter.
    Als Fabio sein Gesicht abtrocknete, hatte er kurz das Gefühl, seine taube Wange hätte die Berührung gespürt.
    »Jaa?« sagte

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