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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Norinas verschlafene Stimme.
    »Hast du schon geschlafen?«
    »Ja. Wir haben die ganze Nacht und den halben Tag gedreht.«
    »Tut mir leid.« Beide schwiegen.
    »Weshalb rufst du an?« fragte Norina.
    »Ich verreise morgen.«
    »Für länger?«
    »Mal sehen.« Schweigen.
    »Deswegen rufst du an?«
    »Ich habe das Handy dabei. Falls was ist.«
    »Was sollte sein?«
    »Einfach falls.«
    Norina gähnte. »Also, gute Nacht. Viel Vergnügen.«
    »Es ist keine Vergnügungsreise«, protestierte Fabio. Norina hatte schon aufgelegt.

16
    Fabio bekam gerade noch den letzten Zug, der in Mailand Anschluß nach Neapel hatte. Die Liegewagen waren belegt, und in den Abteilen machten sich amerikanische Rucksacktouristen mit stinkenden Turnschuhen breit. Er gab dem Schlafwagenschaffner ein großes Trinkgeld und bekam ein Bett in einem leeren Zweierabteil. Den Trick kannte er von seinem Vater. Fabio hatte immer bezweifelt, daß er funktionierte.
    Sobald sich der Zug in Bewegung setzte, zog er sich bis auf die Unterwäsche aus und legte sic h in das schmale Bett.
    Noch bevor sie die Feidauerkurve erreichten, hatte ihn das gleichmäßige Geräusch der Räder auf den Schienen in den Schlaf gesungen.
    Jedesmal, wenn er in Mailand auf den Bahnsteig trat, war es, als betrete er seine Wohnung. Alles war ihm vertraut. Der Geruch der von der Fahrt erhitzten Züge, das graue Licht des frühen Tages, das Echo der Lautsprecherdurchsagen. Sogar die Menschen in der großen Bahnhofshalle kamen ihm vor wie alte Bekannte.
    Fabio hätte gerne an einer Bar einen Ristretto getrunken. Aber es blieben ihm nur zehn Minuten, um ein paar Zeitungen zu kaufen und einen Platz im Pendolino nach Neapel zu finden.
    Die Fahrt nach Napoli Centrale dauerte vier Stunden. Fabio las, döste, aß eine Kleinigkeit im Speisewagen, schaute aus dem Fenster, gab vor, kein Englisch zu verstehen, als ihn ein Ehepaar aus Denver in ein Gespräch über »Europe« verwickeln wollte, und meldete sich telefonisch bei Dr. Vogel ab.
    »Wo sind Sie?« schrie der. Sie hatten eine schlechte Verbindung.
    »In Italien.«
    »Was tun Sie dort?«
    »Was Sie mir empfohlen haben: arbeiten.«
    »Die Stunde muß ich Ihnen trotzdem zur Hälfte verrechnen. Die Absage ist zu kurzfristig.«
    »Zahlt die Versicherung auch Ausfallhonorare?«
    »Nein.«
    »Dann setzen Sie mir die ganze Stunde auf die Rechnung.«
    Vogel hatte einen seiner zeitraubenden Lachanfälle. Fabio täuschte eine Verbindungsunterbrechung vor.
    In Neapel hatte er vierzig Minuten Aufenthalt. Dann stieg er in den klapprigen Regionalzug nach Salerno.
    Das Hotel Santa Caterina lag fünfundzwanzig Kilometer vom Bahnhof entfernt. Fabio handelte einen Taxifahrer von hundertsechzigauf hundertzwanzigtausend Lire herunter und stieg ein.
    Die Straße folgte der Felsenküste des Golfs von Salerno.
    Der Fahrer hatte alle Fenster geöffnet. Die Luft war heiß wie an der Sternstraße. Aber sie roch, wie heiße Luft riechen mußte: nach Pinien und Meer.
    Zwei Kilometer vor der Stadt Amalfi bog der Wagen in eine Einfahrt. »Hotel Santa Caterina« stand neben einer Reihe von Sternen. Fabio zählte fünf.
    Das Santa Caterina lag am schönsten Abschnitt der Costiera Amalfitana. Ein kühnes Bauwerk, in die Felsen geschmiegt wie ein Kloster auf dem Berg Athos und eingebettet zwischen Terrassen voller Pinien, Palmen, Zitronen, Orangen, Oleander und Bougainvillen.
    Fabio hatte eine nette Pension erwartet. Etwas, was dem Budget einer nicht auf Rosen gebetteten Witwe angemessen war. Er hatte vorgehabt, ein Zimmer zu nehmen. Ein Einzelzimmer für eine Nacht, das wußte er aus seiner Erfahrung als Reporter, war immer frei. Dann wäre er im Hotel herumgelungert, bis Jacqueline Barth aufgetaucht wäre, die - das hatte er vor seiner Abreise nachgeprüft - immer noch hier wohnte. Mit einem Luxushotel hatte er nicht gerechnet. Unter dreihunderttausend Lire würde er hier nichts bekommen.
    Das stellte sich als Irrtum heraus. Das billigste Zimmer hätte fünfhunderttausend gekostet. Es war zum Glück keines frei.
    Der Empfangschef war sehr zuvorkommend. Er machte ein paar Anrufe und fand für Fabio ein Zimmer in Amalfi.
    »Hundertdreißigtausend Lire, va bene?« hatte er mit der Hand über der Sprechmuschel gefragt.
    Fabio reservierte für den Abend einen Tisch im Restaurant und nahm ein Taxi nach Amalfi. Dem Mann an der Rezeption gab er zwanzigtausend Lire. Ein, wie er fand, dem Ambiente angemessenes Trinkgeld.
    Das Ho tel hieß La Bussola und lag an der

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