Ein perfekter Freund
Mundvoll.
»Lucas ist tot.«
»Der Lucas, der dir die Frau ausgespannt hat?« Fabio nickte.
»Na siehst du«, sagte Fredi und aß weiter.
Zwei Stunden lang saß Fabio in seinem Apartment und wartete auf Sarahs Anruf. Dann wählte er die Nummer ihres Handys. Ihr Beantworter meldete sich. »Ruf mich an, sobald du kannst«, hinterließ er.
Er versuchte, jemanden in der Redaktion zu erreichen. Alle waren beschä ftigt. Und Sarah Mathey, sagte die Telefonistin, komme heute sicher nicht mehr.
Fabio wartete. Über dem Fenster hatte sich ein feuchter Fleck auf der Tapete ausgebreitet. Wahrscheinlich ein Wasserschaden, der mit dem verklemmten Rolladen zu tun hatte. Die Luft im Apartment war besser geworden, seit der Regen begonnen hatte. Fabio hatte das Fenster geöffnet und den Palmenvorhang zugezogen. Draußen rauschten die Autos über die regennasse Sternstraße.
Das Handy begann Ravels Bolero zu spielen. Fabio unterdrückte den Anruf. Er suchte die Gebrauchsanleitung heraus und schaffte es nach mehreren Versuchen, den Bolero als Marlens Erkennungszeichen zu löschen.
Kurz darauf ertönte der normale Rufton. »Nummer unterdrückt« stand auf dem Display. Er meldete sich.
»Hast du das von Lucas gehört?« Es war Marlens Stimme.
»Ja.«
»Weißt du etwas Genaues?«
Fabio wurde laut: »Weshalb ich? Weshalb ausgerechnet ich? Du hattest mehr Kontakt mit ihm. Weißt du etwas?«
»Entschuldige. Ich wollte dir nicht auf die Nerven fallen.« Es klang sarkastisch.
»Wenn ich etwas erfahre, laß ich es dich wissen«, sagte er versöhnlich. »Entschuldige.«
Er versuchte, sich Lucas vorzustellen. Im Rechen des Kraftwerks, in einem Knäuel aus dem Treibgut des hochgehenden, braunen Flusses. Entstellt auf einem Schrägen des gerichtsmedizinischen Instituts. Mit gefalteten Händen in einem Sarg.
Weshalb hatte er das getan? Aus Liebeskummer? Aus schlechtem Gewissen? Aus beiden Gründen? Aus Verzweiflung? Oder aus Rache?
Fabio neigte im stillen zur letzteren Erklärung. Lucas wollte ihnen eins auswischen. Wenn er Norina schon nicht haben konnte, dann wollte er ihnen wenigstens einen großen Stein in den Weg legen. In Form der Wasserleiche von Lucas Jäger, die sie beide auf dem Gewissen hatten.
Denn daß Norina sich nicht wegen Fabio von Lucas getrennt hatte, konnte sie erzählen, wem sie wollte. Aber nicht Lucas. Und auch nicht Fabio.
Er wählte wieder Sarahs Nummer. Diesmal meldete sie sich sofort. »Ich wollte dich gerade anrufen. Norina ist jetzt bei ihren Eltern. Sie will dich nicht sehen.«
»Wie geht es ihr?«
»Beschissen. Sie macht sich Vorwürfe. Sie hat sich vorgestern von ihm getrennt.«
»Gibt es einen Abschiedsbrief?«
»Bis jetzt hat man keinen gefunden. Man weiß noch nicht viel. Außer, daß er gestern nacht zwischen elf und vier unterhalb der Seetalbrücke in den Fluß ging.«
»Weshalb kennt man die Stelle so genau?«
»Wenn er weiter oben gesprungen wäre, wäre er bei der Seetalbrücke hängengeblieben. Sie ist irgendwie verstopft.«
»Hat man seine Eltern erreicht?«
»Sie kamen gerade aus der Gerichtsmedizin, als wir die Polizei verließen. Sie sind wie versteinert.«
»Was kann ich tun?«
»Am besten, du hältst dich ganz raus.«
Fabio legte sich aufs Bett und schaute zu, wie der Wasserfleck über dem Fenster langsam größer wurde. Der Rege n trommelte ausdauernd auf das Simsblech. Der Verkehr gischte eintönig durch die Pfützen. Er fühlte, wie ihm die Schwermut in die Glieder kroch.
Jemand klopfte an die Tür. »Ja!« rief Fabio, ohne aufzustehen.
Samantha trat ein. Sie schob die Hände in die Ärmel ihres kanariengelben Frottiermantels und fröstelte. »Je m'ennuie«, stellte sie fest.
Fabio blieb liegen. Er mußte ein trauriges Bild abgeben, denn sie fragte: »Ist jemand gestorben?«
Die Frage war nicht ernst gemeint. Als Fabio nickte, erschrak sie. »Aus der Familie?«
Fabio schüttelte den Kopf.
Samantha setzte sich an den Bettrand. »Ein Freund?«
Fabio überlegte. »Das war er früher. Bevor er der Freund meiner Freundin wurde.«
»War er krank?«
»Er hat sich umgebracht.«
»Weshalb?«
»Sie wollte sich trennen.«
»Dann ist es eine Gemeinheit.« Sie stand auf und ging zur Tür hinaus.
Samantha kam zurück und machte sich in der Kochnische zu schaffen. Nach einiger Zeit brachte sie ihm ein Glas mit einer bräunlichen dampfenden Flüssigkeit. »Langsam trinken.«
»Was ist es?«
»Punsch.«
»Mit deinem Rum?«
Sie nickte. »Wir trinken ihn heiß, wenn wir
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