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Ein perfekter Freund

Ein perfekter Freund

Titel: Ein perfekter Freund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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traurig sind.«
    »Und kalt?«
    »Wenn wir lustig sein wollen.«
    Fabio richtete sich auf und schlürfte vorsichtig einen Schluck. Es schmeckte nach heißem Alkohol mit etwas Zucker und Zitrone.
    Samantha setzte sich wieder an den Bettrand. »In Guadeloupe habe ich einmal einem den Laufpaß gegeben. Der kam am Abend vor mein Haus und wollte herein. Er schrie: ›Laß mich rein, oder ich bringe mich um.‹ Ich konnte ihn nicht hereinlassen, ich war nicht allein. Er schrie die halbe Nacht.
    ›Laß mich rein, oder ich bringe mich um.‹ ›Laß mich rein, oder ich bringe mich um.‹ Bis ich die Nase voll hatte und rief: ›Laß mich schlafen, und bring dich um!‹ - Trink deinen Grog.«
    Fabio nahm einen Schluck. »Und dann?« fragte er, wie ein kleiner Junge bei der Gutenachtgeschichte.
    Samantha zuckte die Achseln. »Dann ließ er mich schlafen und brachte sich um.«
    Fabio mußte lachen.
    »Siehst du: Man soll nicht trauern um Leute, die sich umbringen, weil sie jemand verlassen hat. Das tut man nicht. Du hast dich ja auch nicht umgebracht, als sie dich verlassen hat.«
    »Ich habe sie verlassen.«
    »Du sagtest doch, er war dein Freund, bis er der von ihr wurde.«
    »Stimmt.«
    »Du hattest sie verlassen, und dann warst du sauer auf ihren neuen Freund?«
    »Klingt seltsam, nicht?«
    Sie zeigte ihm den Vogel. »Weshalb hast du sie denn verlassen?«
    »Ich hab's vergessen.«
    Samantha lachte auf. »Trink. Man muß es heiß trinken, sonst wird man zu lustig.«
    Fabio trank. »Stimmt es, daß ihr die zweitausendfünfhundert Miete an zwei, drei guten Abenden reinholt?«
    »Sagt das Fredi?«
    Fabio nickte. »Stimmt's?«
    »Die anderen Mädchen schon.«
    »Und du?«
    »An einem Abend.« Einen Moment blieb sie ganz ernst. Dann lachte sie los. »Dein Gesicht! Du solltest dein Gesicht sehen!«
    Fabio trank sein Glas leer. Die Schwere in den Gliedern begann sich angenehmer anzufühlen.
    Samantha brachte das Glas in die Kochnische und spülte es aus.
    Er stand auf und holte etwas vom Tisch. »Augen zu«, befahl er, als sie zurückkam. Sie schloß die Augen.
    Er legte ihr die Korallenkette um den Hals und öffnete die Schranktür mit dem Spiegel. »Jetzt.«
    Sie öffnete die Augen und strich mit den Fingerspitzen behutsam über die Korallen. Sie besaßen den gleichen matten Schimmer wie ihre fast schwarze Haut.
    »Für mich?« Fabio nickte.
    »Korallen?«
    »Aus dem Mittelmeer.«
    »Bei uns gibt es auch Korallen. Aber nicht in diesem Rot.«
    »Sie gehörten einer Nymphe.«
    »Was ist eine Nymphe?«
    »Ein liebliches Mädchen mit Flügeln. Sie war die Geliebte von Herkules. Als sie starb, hat er sie am schönsten Ort der Welt begraben und die Stelle nach ihr benannt. Amalfi. Schon einmal von Amalfi gehört?«
    Samantha schüttelte den Kopf. »Aber von Herkules.« Sie nahm seinen Kopf zwischen die Hände und gab ihm einen langen Kuß. »Zu viele Muskeln.«
    »Ich?«
    »Herkules.«
    »Fühlen Sie sich auch wie neugeboren?« fragte Dr. Vogel, als er auf Fabio zuruderte. Er trug eine Art Safarianzug mit vielen Taschen, einem eingenähten Gürtel und Epauletten. Fabio fragte sich, wer solche Übergrößen herstellte.
    Er erzählte, was gestern passiert war. Dr. Vogel hörte routiniert zu. Am Schluß sagte er: »Der Mann, den Sie am liebsten umgebracht hätten, hat Ihnen also die Arbeit abgenommen.«
    »So kann man es auch sehen.«
    »Wie betrachten Sie es denn?«
    Fabio überlegte. »Als schlechten Stil.«
    »Geben Sie Stilnoten für Selbstmord?« Vogel klang ärgerlich.
    »Es ist die ultimative Ohrfeige. Das letzte unerlaubte Mittel im Kampf um die Liebe eines Menschen. Eine unerhörte Rücksichtslosigkeit.«
    »Der Selbstmord ist das Ende aller Rücksichtnahme. Übrigens auch sich selbst gegenüber.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher. Ich glaube, manchmal sind die so versessen darauf, den anderen eins auszuwischen, daß sie ganz vergessen, daß sie dabei selber draufgehen.«
    »Sie klingen wie Ihre Lokomotivführer.«
    »Die verstehe ich jetzt besser.«
    »Wollen wir mit den Übungen beginnen?«
    Fabio nickte.
    Er erreichte Sarah im Büro. Man wußte nichts Neues außer der Todesursache und der Todeszeit. Ertrunken. Etwa um zwei Uhr früh. Vier Stunden nach seinem letzten Anruf bei Norina.
    »Was wollte er?«
    »Reden, reden, reden. Wie alle verschmähten Liebhaber.«
    »Hast du mit Norina gesprochen?«
    »Ja. Kurz. Am Telefon.«
    »Wie geht es ihr?«
    »Sie trifft heute seine Eltern. Davor hat sie einen Horror.«
    »Und ich?

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