Ein perfekter Freund
Namen gefragt hatte.
Das Cafe Marabu war ein düsteres Ecklokal. Draußen, neben dem Eingang, stand ein Fahrradständer mit einer Reklameaufschrift für eine Zigarette, die es schon seit vielen Jahren nicht mehr gab. Auf dem Schaufenster klebte ein Marabu aus blauer Folie.
Das Mobiliar bestand aus Tischchen mit abgewetzten roten Kunststoffplatten, schwarz gesprenkelt. Die Plastikpolster der Stühle und Bänke waren an manchen Stellen mit Klebeband von beinahe der gleichen Farbe geflickt. Drei staubige Philodendren ließen ihre müden Ranken aus Nischen, Ecken und Vorsprüngen des Raumes hängen.
Das Cafe Marabu war leer bis auf zwei alte Frauen. Man hörte das Murmeln ihrer Unterhaltung und das Fauchen der Kaffeemaschine hinter dem Tresen, wo eine Serviertochter Teewasser dampferhitzte.
Sie brachte Fabio ein Glas Pfefferminztee. Es stand in einem metallenen Glashalter, dessen Griff die ganze Hitze des Getränks zu speichern schien.
Er angelte das Schnürchen aus dem Glas und begann den Teebeutel zu tunken.
Das Gewitter hatte den ersehnten Wetterumschwung gebracht. Es war kühl geworden und regnete seit gestern. Regenmäntel und Schirme beherrschten das Stadtbild, in den Trams roch es nach nassen Kleidern, die Menschen begannen die Leiden der Hitzewelle zu vergessen und sich bereits wieder die Sonne herbeizuwünschen.
Fabio ließ sich von der erwachenden Trübsal nicht anstecken. Ihm ging es so gut wie schon lange nicht mehr. Er hatte am Tag zuvor Norina erreicht, und sie hatte seinem Drängen nachgegeben und eingewilligt, ihn zu treffen.
Das Cafe Marabu war ihr Vorschlag gewesen. Sie hatten wegen des Wetterumschwungs ihren Drehplan ändern müssen und drehten in einer Wohnung in der Nähe.
Als er Norinas Silhouette unscharf durch die grüne Scheibe der Tür sah, begann sein Herz zu klopfen wie beim ersten Rendezvous. Sie schüttelte die Tropfen vom Schirm, öffnete die Tür, steckte ihn in den kupfernen Schirmständer und kam auf seinen Tisch zu. Fabio stand auf.
Norina trug eine schwarze Nylonjacke, die er nicht kannte. Er wußte nicht, ob es sich um einen Regenschutz handelte oder um etwas, das man anbehält. Sonst hätte er ihr herausgeholfen, und die Begrüßung wäre etwas weniger verkrampft ausgefallen. So gaben sie sich die Hand wie zwei Blinddates.
Norina setzte sich, schlüpfte aus den Ärmeln und ließ die Jacke zwischen Rücken und Stuhllehne eingeklemmt. Sie schien wenig geschlafen zu haben, denn sie hatte die dunklen Schatten unter den Augen, die ihm immer gefallen hatten. Sie verliehen ihren mädchenhaften Zügen eine unschuldig laszive Note.
»Rauchst du jetzt?« Sie zeigte auf den Aschenbecher.
»Als ich wieder zu mir kam, war ich Raucher.« Er lächelte.
Sie hatte abgenommen. Ihr Gesicht war noch eine Spur schmaler geworden. Ihre grünen Augen sahen müde aus. Sie hatte ihren neuen Kurzhaarschnitt noch einmal verändert. Jetzt fielen ihr die Stirnfransen bis knapp über die gezupften Brauen. Es stand ihr gut.
Sie bestellte ebenfalls Tee. »Also gut«, sagte sie, als das Teeglas vor ihr stand, »erzähl mir deine Geschichte.«
Fabio erzählte so sachlich wie möglich die Geschichte von Dr. Barths Entdeckung und welche Rolle Lucas darin spielte. Er ließ nichts aus und fügte nichts hinzu. Er trug es vor wie das professionelle Resümee von Ereignissen, die ihn zufällig auch noch persönlich betrafen. Er schloß den Bericht mit dem heimlichen Treffen in der Lobby des Europa ab.
»Ich dachte, du solltest das wissen«, sagte er und lehnte sich zurück.
Norina hatte während Fabios Monolog den Papieruntersatz des Teeglases in winzige Fetzchen zerrissen und diese mit der Kante ihrer schmalen Hand auf der Tischplatte zu immer neuen Formationen geschoben. Eine Angewohnheit, die ihm früher manchmal auf die Nerven gegangen war. Jetzt bezauberte sie ihn.
Er reichte ihr seinen Papieruntersatz. Sie nahm ihn kommentarlos und begann ihn gewissenhaft zu zerreißen.
»Weißt du, was mir an Lucas immer gefallen hat? Er hat nie ein schlechtes Wort über dich gesagt. Nie. Im Gegenteil: Er hat dich immer in Schutz genommen, wenn jemand anders über dich herzog. Wie zum Beispiel ich. Das ist oft geschehen. Es hat Tage gegeben, da hatte ich kein anderes Thema, das kannst du dir ja denken. Aber Lucas hat immer um Verständnis für dich geworben, nach Erklärungen und Entschuldigungen gesucht. Du machst dir keine Vorstellung, was für einen perfekten Freund du in Lucas hast. Es war nicht zum
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